Offen und öffentlich

Das Zentrum Karl der Grosse an der Kirchgasse hat 2013 eine Neuausrichtung erfahren, seit vergangenem Oktober ist Fadrina Arpagaus als neue Programmleiterin tätig. Der Altstadt Kurier hat sich mit ihr und mit dem Leiter des Hauses getroffen.

Sie haben insgesamt sieben Jahre in Berlin gelebt, sind nun seit gut zwei Jahren wieder in Zürich. Wie lebt es sich hier?
Fadrina Arpagaus: Ich fühle mich wieder daheim in Zürich und sehr verbunden mit der Altstadt und den Menschen. Ich möchte hier bleiben.

Sie waren als Dramaturgin tätig. Was hat Sie vom Theater zum Zentrum Karl der Grosse gebracht?
Ich habe mir gewünscht, nach dem Theater an politischen Themen zu arbeiten, mich mit Themen der Gegenwart auseinanderzusetzen und das in Projekte zu packen. Zu Rahmenprojekten inte­ressante Menschen einzuladen, die etwas zu sagen haben. Und Zeit zu haben dafür.

2013 hat das Zentrum Karl der Grosse eine Neuausrichtung erfahren. Was ist darunter zu verstehen?
Nun, Karl besteht ja aus dem Restaurant, den zu vermietenden Räumen und dem Programm. Neu will Karl ein Debattierhaus sein, Debattierkultur pflegen.

Wie soll das geschehen?
Sich austauschen, Themen auf den Grund gehen, Argumente und Gegen­argumente finden, sich positionieren und eine Haltung verteidigen – ich finde, das sind wichtige Instrumente, um der Komplexität unserer Gegenwart gewachsen zu sein. Diese Taktiken kann man in Debatten und Diskussionen trainieren, dabei Spass haben und gleich noch eine Menge Leute kennenlernen, die ähnlich oder komplett anders denken. Dabei ist uns ganz wichtig, Öffentlichkeit zu schaffen, Räume, wo Menschen real, physisch zusammenkommen. Das ist seltener heute, wo vieles digital geschieht.

Was für Beispiele haben Sie dafür?
Ein gutes Beispiel ist unsere Reihe «Winterreden», die im Januar stattfand. Da nehmen Leute den öffentlichen Raum ein. Eine Persönlichkeit hält eine Rede vom Erker im ersten Stock aus. Unten auf dem Platz steht das Publikum. Anschliessend sitzen Redner und Zuhörer am grossen Tisch im Restaurant zusammen.
Da sind natürlich Überraschungen möglich. Die US-Botschafterin etwa kam mit vier Polizisten. Stadtrat Richard Wolff kam allein und wurde prompt von Aktivisten gestört, mit Pöllern und Zwischenrufen, sodass ein ­Polizeieinsatz nötig war, damit er weiterreden konnte.

Und ein weiteres Beispiel für solche Veranstaltungen?
Ein zweites Format ist die «Züri-Saga». Man sitzt im Restaurant zusammen, isst, es werden eigene Geschichten erzählt. Da sind fünf bis sechs Erzählerinnen und Erzähler sowie ein Autor, der aus den Geschichten einen Text verfasst, der als Einstieg für die nächste Folge dient. Erzählen ist ein spannender Vorgang, da gibt es Umwege, Abwege, Fiktion. Da haben auch Leute aus der Altstadt mitgemacht, Elsa Feurer und Kaspar Schnetzler. So wird Kulturgut aus Zürich weitergegeben. Das war im Dezember, es nahmen pro Abend jeweils dreissig bis fünfzig Personen teil. Nun planen wir das zu wiederholen, im Juni, bei guter Witterung im Innenhof.

Überhaupt gibt es ja ein grosses Raumangebot im Karl der Grosse.
Ja, es ist toll, all die verschiedenen Räume zu nutzen und dafür neue Formate zu kreieren. Wobei die Räume natürlich auch vermietet werden. Verschiedenste Gruppen von Selbsthilfegruppen bis zum Verein Filmzirkel treffen sich hier regelmässig.

Nochmals zurück zum Programm. Was für Vorgaben oder Grundsätze verfolgen Sie da?
Ganz wichtig sind uns interaktive und spielerische Formate. Dass etwa Fachleute, Redner mit dem Publikum in Kontakt kommen, dass ein Austausch auf Augenhöhe entsteht. Ein gutes Beispiel ist «Next Level Europa». Dabei geht es um die Simulation einer zukünftigen Situation, um ein Szenario wie etwa dieses: «Es ist das Jahr 2023, es ist Wahlsonntag. Die Schweizer Migrantenpartei liegt weit vorn. Es formiert sich gewalttätiger Widerstand…» Wie geht man damit um? Wie würde man das lösen, wenn es Realität wäre? Fachleute versuchen zusammen mit dem Publikum Lösungen zu erarbeiten.
Gibt es weitere Programmpunkte?
Unsere Veranstaltungen im Frühling stehen unter dem Label «Helles Europa», dabei geht es um die Frage, wie sich ein solidarisches Europa mit einer aktiven Zivilgesellschaft realisieren lässt. Im April haben wir den deutschen Migrationsforscher Mark Terkessidis und im Mai den Nahostkorrespondenten ­Ulrich Tilgner zum Gespräch eingeladen, um Fragen des interkulturellen ­Zusammenlebens zu erörtern. Der Schwerpunkt im März heisst «Islam für Christen und andersrum», da gibt es unter anderem einen Crashkurs Islam (Level A1). Im April beginnen wir mit den «Generationengesprächen»: Es gibt eine Gruppe älterer Menschen, die ihre Biografie aufgeschrieben und gedruckt haben. Daraus soll nun jeweils eine Tochter oder ein Sohn vorlesen, Fragen an die Eltern stellen und vielleicht auch Tabuthemen ansprechen. Und es ist noch einiges mehr geplant…

Wie arbeiten Sie mit den anderen im Haus zusammen?
Der Karl ist ein Dreigestirn von drei ­Abteilungen. Die Raumvermietung ist dabei zentral. Da besteht eine gute Zusammenarbeit. Wir machen Eigenveranstaltungen, aber auch Kooperationen, das läuft gut. Auch das Restaurant läuft sehr gut, ist am Mittag voll. Am Abend ist es bis 22 Uhr geöffnet. Länger geht leider nicht wegen des knappen Personalbestands. – Das Oberdorf ist ­eine ruhige Umgebung. Es wäre schön, wenn der Karl als lebendiger Ort wie ein Magnet wirken würde.

(Christoph Schneider, der Leiter des Zentrums Karl der Grosse, hat sich dazu gesetzt.)
Wobei der Karl der Grosse ja gesamtstädtisch ausgerichtet ist, nicht wahr? Welche Rolle spielt da das Quartier?
Christoph Schneider: Wir haben einen gesamtstädtischen Auftrag, aber wir ­stehen im Quartier. Wir sind nicht un­abhängig, sondern im Kontext drin, wir sind Teil des Quartiers. Es ist ein spannendes Quartier in der aktuellen Entwicklung. Leute, die da leben und ar­beiten, haben eine starke Verbindung zum Quartier. – Es ist ein Privileg, hier zu arbeiten, und in diesem Haus Menschen unterschiedlichster Couleur einen Ort zu bieten, wo man über Herausforderungen oder Visionen streiten, ­danach aber auch versöhnlich ein Glas Wein trinken kann. Ausserdem behaupte ich, unsere Küche gehört zu den besten in der Altstadt. – Da schlägt mein Herz!
Interview: Elmar Melliger


Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14,
www.karldergrosse.ch.

Zu den Personen
Fadrina Arpagaus (1980) ist in Zürich aufgewachsen. Nach der Matura zog sie nach Berlin, wo sie Germa­nistik, Philosophie und Politikwissenschaften studierte und als Journalistin arbeitete. Insgesamt lebte sie sieben Jahre in Berlin. In Zürich arbeitete sie zwei Jahre am Schauspielhaus in verschiedenen Funktionen. 2010 kam sie ans Theater Basel, wo sie als Dramaturgin arbeitete, bis 2012. Es folgte wieder ein Jahr in Berlin, als Dramaturgin an der Oper. 2013, mit Beginn der Intendanz von Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler, kam sie als Dramaturgin ans Theater Neumarkt, wo sie zwei Spielzeiten blieb. Im Oktober 2015 wurde sie Programmleiterin beim Zentrum Karl der Grosse.
Christoph Schneider (1975) ist in Seuzach aufgewachsen und mit 19 nach Zürich gekommen. Er absolvierte eine KV-Lehre und erlangte die Erwachsenenmatura, arbeitete sodann fünf Jahre in der Gastronomie (Service, Bar, Wein). Studierte an der ZHdK Kulturwissenschaft. Er hat Ausstellungen zum Thema Stadtentwicklung gemacht und in einer Kunstsammlung gearbeitet, ebenso in einer Bar. Danach hat er drei Jahre das Projekt Pickeltouren im Dynamo betreut, bei dem Jugendliche ihre Stadt zeigten. Seit Ende 2012 ist er Leiter des Zentrums Karl der Grosse.