Wiedersehen nach fünfzig Jahren

Die Abgänger der Klasse Brunner von 1967 haben sich nach fünfzig Jahren erstmals wieder getroffen. Sie hatten im Schulhaus Wolfbach gemeinsam die Mittelstufe besucht. Der Altstadt Kurier war bei diesem Klassentreffen eine Zeit lang mit dabei.

Wie die Teilnehmenden der Klassenzusammenkunft am 22. September um 15 Uhr im «Rüdenstübli» im Zunfthaus zum Rüden eintreffen, haben sie den Begrüssungsapéro bereits hinter sich.
Sie haben sich beim Schulhaus Wolfbach an der Kantonsschulstrasse 3 getroffen, wo sie von 1965 bis 1967 die vierte bis sechste Klasse beim Lehrer Eduard Brunner besucht haben. Einander nach so langer Zeit wiederzuerkennen ist nicht bei allen gleich leicht gefallen. Doch im «Rüdenstübli» ist bereits eine Gruppe von Individuen versammelt, denen etwas Gemeinsames anzumerken ist, die Stimmung ist aufgeräumt.
Marcus Benz, er hat das Treffen zusammen mit Ingrid Kuster und Daniel Keller organisiert, hat eine Powerpoint-Präsentation zusammengestellt und bittet alle, sich gleich selber kurz vorstellen.
Ein gutes Dutzend Menschen, bald im Pensionsalter, blicken zurück auf ihre Schulzeit und Kindheit. (Leider konnten nicht alle Adressen ausfindig gemacht werden, einige Personen konnten aus diversen Gründen nicht am Treffen teilnehmen.) Daniel Keller hat für die Präsentation alle Häuser fotografiert, in denen damals jemand aus der Klasse daheim war.

Brunners «Tatzen»
Robert wohnte an der Steinwiesstrasse beim Kreuzplatz, seine Eltern hatten ein Pelzgeschäft, er ist Mathematiklehrer geworden. Teddy (leider verhindert) wohnte an der Römergasse 2. Er übernahm von seinem Vater den heute noch existierenden «Teddy’s Souvenir-Shop», den er einige Jahre betrieb und dann verkaufte. Heute führt er einen Campingplatz. Beat, Wohllebgasse 15, lebt teilweise im Tessin und hat einen Limousinen-Service.
Ein Mann erinnert sich: «Wenn man einen Papierflieger fliegen liess, kassierte man eine Ohrfeige.» Einmal habe ihm der Lehrer dermassen «eini tätscht», dass er drei Tage mit Hirnerschütterung zu Hause bleiben musste. Schlagartig sind die Erinnerungen da. Jemand ergänzt, dass es regelmässig «Tatzen» gegeben habe: «Der Brunner hatte eine Liste. Immer am Samstag gab es je nach Sündenregister ‹Tatzen›. Schläge mit der Kante des Eisenlineals auf die rechte Hand, wahlweise innen oder aussen. Und dann musste man ihm die schmerzende Hand reichen und ihm ein schönes Wochenende wünschen.» «Fast alle kamen dran», sagt jemand, «auch die Mädchen. Nur wer besonders gut war im Sport, hatte einen Vorteil.» Oder man schrieb Strafaufgaben, schrieb hundert Mal «Ich darf nicht…» Beim Lehrer beliebt war auch, dass jeweils vor Schulschluss alle aufstehen mussten, er stellte Kopfrechenaufgaben, wer die Lösung als Erster rief, durfte nach Hause. So ging das der Reihe nach. Immer die Gleichen blieben bis zuletzt stehen.

WC im Erdgeschoss
Doris’ Eltern führten eine der vielen Metzgereien, die es noch gab, die Metzgerei Huber am Rüdenplatz 4, heute «Farfalla». Sie ist im kaufmännischen Bereich tätig. Katharina lebt seit vierzig Jahren in Paris, sie konnte nicht kommen. Ingrids Eltern gehörte das Hotel «Krone» am Limmatquai 88, das sie vor einigen Jahren einmal aufsuchte und erschrak, weil es so heruntergekommen ist. Bruno wohnte am Limmatquai 86, hatte später mehrere Kleiderläden und war bei der Swisscom angestellt. Er erinnert sich an die Feier zum hundertjährigen Bestehen des Wolfbach-Schulhauses. Dafür hat Paul Burkhard das Stück «Noah» geschrieben, für das die Kinder 1967 zwei Monate probten. Es wurde im Fernsehstudio Bellerive aufgezeichnet. Roger war an der Brunngasse 8 daheim. Er lebt in München und arbeitet als Lichtdesigner für Theater. Urs lebte am Rindermarkt 19 und ist heute Landschaftsgärtner. Guido arbeitet bei einer Bank, er wohnte am Rindermarkt 12 über der «Oepfelchammer», seine Mutter führte gleich gegenüber am Rindermarkt 13 das Café Hawaii. In der Nähe wohnte auch Marlies, die bei einer Versicherung arbeitet, am Neumarkt 3. Der Hauseingang befand sich damals noch vorn am Neumarkt (heute in der schmalen Seitengasse). Marcus ist an der Dr. Faustgasse 14 aufgewachsen, an der Uni also, wo sein Vater Hauswart war. Er hat als Informatiker gearbeitet und 1996 sein Hobby, wertvolle Bücher, zum Beruf gemacht. Er führt das EOS-Buchantiquariat Benz an der Kirchgasse. Daniel hat am Predigerplatz 42 gewohnt und später im Hausdienst bei der ETH gearbeitet.
Die Wohnverhältnisse waren in der Altstadt vielerorts bescheiden. Jemand sagt, dass die vierköpfige Familie in drei Zimmern lebte, die Kammer der Eltern so schmal, dass sie hintereinander schlafen mussten statt nebeneinander, für die Kinder wurde am Abend je ein Feldbett aufgeklappt. «Und bei uns», ruft eine Frau, «war das WC für das ganze Mehrfamilienhaus im Erdgeschoss, wir wohnten im dritten Stock. Eine Dusche hatte es nicht.» «Bei uns auch nicht. Immer am Samstag wurden wir Kinder in der Küche in eine ‹Gelte› gesteckt und gewaschen.» Die Gentrifizierung kam später… – Viele Leute sind weggezogen, weil ihr Haus umgebaut wurde oder weil am Stadtrand Neubauten mit Zentralheizung und Warmwasser lockten.

Scharen von Kindern
In der Altstadt hatte es viele Kinder, sagt jemand: «Am Leueplätzli spielten dreissig Kinder Räuber und Poli und schwärmten aus in die umliegenden Gassen.» «Es war schon schön», pflichten mehrere bei. «Am Hügel beim Obergericht haben wir im Winter geschlittelt.» Es gab Metzgereien, Bäckereien, Milchlädeli, ein Kohlengeschäft, viele Handwerksbetriebe. Für die Restaurants lieferte ein Pferdegespann der Brauerei Hürlimann das Bier und Eisblöcke für den Kühlraum.
Alberto (leider verhindert) wohnte im Lenin-Haus an der Spiegelgasse 14 und ist heute Informatiker. Im Parterre befand sich das Fondue-Lokal «Chez Leo». Das Haus wurde ca. 1968 abgerissen und neu aufgebaut. Wohl nur die Gedenktafel für Lenin sei noch original, wird vermutet. Eveline war an der Frankengasse 16 daheim. Peter wohnte an der Hottingerstrasse 28, war leider verhindert, teilte jedoch mit, dass er nach einem Jahr bei Brunner von der Schule geflogen sei. Er ist Arzt geworden. Yvonne lebte an der Wolfbachstrasse 35, wo ihr Vater das Restaurant «Wolfbach» führte. Maria-Adrienne wohnte an der Apollostrasse 20 und arbeitet bei einer Bank. Heinz, Oberdorfstrasse 21, ist Ingenieur und weilt gerade in den USA. Er meldet sich per Skype.
Aus der Klasse Brunner haben es zwei der Schüler regulär in die Sekundarschule geschafft. Die anderen haben ihren Weg über die Katholische Sekundarschule, die Akad oder anderswie gemacht.

Apéro und Nachtessen
Nun zieht die Gruppe zum Rechberggarten. Zu Alphornklängen von Daniel und seiner Frau geniessen alle bei Bilderbuchwetter einen Apéro, mit Blick über die Stadt. – Später am Abend wird im «Rüdenstübli» das Nachtessen serviert. Gesprächsstoff und zu Lachen gibt es genug.

Elmar Melliger