Es war einmal ein Atelier

Sven Knebel hatte bis vor kurzem noch ein Atelier im Schober-Haus an der Napfgasse 4. Der Altstadt Kurier hat mit ihm gesprochen.

Das Schober-Haus erhält ein neues Gesicht – und verliert einen Schweizer Künstler und Förderer. Der Gestalter, Maler und Bildhauer Sven Knebel hat fünfzig Jahre lang im vierten Stock oberhalb der Conditorei Schober gearbeitet und mit Felix Rellstab die in der Kunstwelt viel beachtete Zeitschrift «Spektrum» herausgegeben. – Sein Atelier war seine Arbeitsstätte, sein Refugium, und ein Ort der Begegnung zwischen Künstlern und Literaten.

Lehrjahre im Dorf
Sven Knebel hat auch in unserer Altstadt sichtbare Spuren hinterlassen. Im Hotel Widder steht seine herrliche Hommage an die Architektin Tilla Theus. Die Skulptur aus Acrylglas, Chrom und Licht ist eines seiner vielen Werke. Etliche von ihnen entwarf er im Atelier oberhalb der Conditorei Schober, einer Arbeitsstätte, die ihm viel bedeutet hat. Die Aussicht auf den Napfplatz mochte er besonders, er hat ihn vom Fenster aus fotografiert: «Ich liebe den Napfplatz, er ist voller Leben, Frauen oder Gewerbler, die aufeinander treffen, stehen bleiben und schwatzen, spielende Kinder…» Schon früh begann er in der Altstadt seine Wurzeln zu schlagen. Er war als Kind häufig mit seinem Vater im Dorf, und als junger Mann verbrachte Sven Knebel einige Lehrjahre bei einem Wiener Künstler, Reklame- und Hinterglasmaler unweit vom Napfplatz. Er erinnert sich mit viel Zuneigung an seinen Lehrmeister. Bei ihm lernte er den Blick für die Schönheit im Kleinen zu schärfen und den Mut für das eigene Schaffen. Später, ab 1955, als selbständiger Gestalter, Maler und Bildhauer, bezog er sein Atelier im Schober-Haus an der Napfgasse. Dahin trieb es ihn auch immer wieder zurück, wenn er im Ausland war. Er war oft unterwegs: für auswärtige Aufträge, Ausstellungen und Biennalen in den Metropolen Europas, Asiens und der USA. Er bereiste Westafrika, die Sahara, den Orient, Südostasien und alle Länder Südamerikas. Aus der Begegnung mit fremden Kulturen, dem Knüpfen neuer Kontakte schöpfte er frische Ideen für sein Schaffen, und Themen für die Zeitschrift «Spektrum» flogen ihm zu.

Grosszügiger Drucker
Sven Knebels Mitarbeit an Robert Konrads Kunstzeitschrift «Essence» (1950) und Leo Maillets «Matière» (1953) regte ihn 1958 an, eine neue zu gründen, das «Spektrum». Erst gab er sie zusammen mit Felix Rellstab heraus, ab 1985 dann im Alleingang. «Spektrum», die internationale Vierteljahresschrift für Dichtung und Originalgrafik, vereinte literarische Texte mit grafischer Kunst. Oft erschienen Lithografien, Holzschnitte, Zinkätzungen, ein- oder mehrfarbig, in der selben Nummer. Das erforderte bis zu achtzig Druckgänge pro Ausgabe und wäre in all den dreiunddreissig Jahren kaum möglich gewesen, hätte die Druckerei Stutz das Engagement Knebels nicht unterstützt. Sie scheuten keine Mühen und trachteten nicht nach Gewinn – zeitgenössische Kunst zu fördern und zu verbreiten war ihnen Lohn genug.
Einige Autoren sind später bekannt geworden oder waren es schon: Im «Spektrum» erschienen Beiträge der Literaten Alexander Xaver Gwerder, Günter Eich, Rainer Brambach, Alfred Andersch, René Char, Werner Lutz und der Künstler Alex Sadkowsky, Dalvit, Baltensperger, Grieshaber; Hugo Loetscher stellte die Texte für eine Südamerika-Nummer zusammen.
Um die «Spektrum»-Ausgaben zu erarbeiten, kamen interessierte Künstler und Literaten regelmässig in Knebels Atelier, an einem «Jour fixe». Den liessen sie hin und wieder in der «Bodega» ausklingen, bis die frischen Gipfeli aus der Marktgasse dufteten.

Geschichten zu erzählen
Von allen Mitarbeitern des «Spektrum» kann Knebel Geschichten erzählen. Von der schönen Annemarie Schwarzenbach; von Ludwig Hohl, der in seiner Wohnung eine Leine spannte und mit Wäscheklammern seine Texte daran befestigte – oder von Max Frischs siebzigstem Geburtstag im Zunfthaus zur Meise, als plötzlich der struppige Niklaus Meienberg hereinstürzte und schrie: «Mitterand ist Präsident! Der Sozi hat die Wahl gewonnen!»

Nun meist in Regensberg
Viele ehemalige «Spektrum»-Mitarbeiter wurden Freunde und blieben es. Manche von ihnen trifft Knebel bei sich im alten Regensberger Bauernhaus, seinem Wohnhaus und «Atennier». Heute arbeitet er vorwiegend dort, zwischen bibliophilen Ausgaben aus seinem Verlag «Brunnenturmpresse» und vielen anderen Kunstobjekten, von fremder oder eigener Hand geschaffen. Neben ihm brennt das Feuer im Cheminée und strahlen die Kristalle, die er unterwegs fand, und Ruhe kommt über ihn und sein Refugium in Regensberg.

Nadia Ghidoli