Die himmlischen Beleuchter

Unsere diesjährige Weihnachtsgeschichte hat Käthi La Roche verfasst, Pfarrerin am Grossmünster. In ihrem Beitrag richtet sie die Aufmerksamkeit über unsere Alltagsrealität hinaus…

Zu Weihnachten haben Engel Hochkonjunktur. Doch nicht nur in der Adventszeit und nicht nur in der Buchhandlung zum Licht, auch bei Orell Füssli und ganzjährig gibt es einschlägige Literatur über Engel. Der Markt reagiert sensibel auf das, was Menschen heute suchen: Religiöse Erfahrung.
Engel, himmlische Lichtwesen, überirdische Boten aus einer anderen Welt, faszinieren. Die Ahnung von einer Wirklichkeit jenseits von und über dem, was unsere Alltagsrealität ist, macht sich an ihnen fest. Die Ahnung und die Sehnsucht, in unserer ganzen Ungeschütztheit im Leben doch irgendwie begleitet und behütet zu sein, einen Schutzengel zu haben wie damals als Kind…
Es gibt Menschen, die haben Erfahrungen mit Engeln. Sie können diese sogar beschreiben. Ich gehöre nicht zu denen. Aber ich würde mich nicht zu der Aussage versteigen wollen, dass das, was diese Menschen erzählen, nicht «wahr» sei. Misstrauisch werde ich nur, wenn sie vor lauter Licht und Engeln jene anderen nicht mehr sehen, die im Dunkeln sitzen.

Wie im Theater
Die biblische Weihnachtsgeschichte berichtet von Menschen, die Erfahrungen mit Engeln hatten. Maria und Joseph, aber auch den Hirten und den Königen sind welche erschienen, die ihnen gedeutet haben, was sie selber nicht verstehen konnten: die Menschwerdung Gottes in einem Kind, dem Sohn einer Jungfrau.
Die Evangelien berichten davon, als sei es das Normalste auf der Welt. Nur wäre es keinem der Evangelisten in den Sinn gekommen, sich für Engel zu interessieren. Wichtig war ihnen nicht, was das für Wesen sind. Es gibt sie einfach und es braucht sie, wie die Beleuchter im Theater, die oben in einer Loge sitzen und ihre Scheinwerfer auf das richten, was unten auf der Bühne geschieht. Damit man begreift, was gespielt wird, dort unten, nicht dort oben! Damit unser Blick dorthin gelenkt wird, wo das Entscheidende passiert: heute wie vor 2000 Jahren.

Eine andere Perspektive
Im Zentrum der biblischen Weihnachtsgeschichte stehen Bethlehem und die Geburt Jesu in einem Stall. Auch heute noch kommen Kinder unter ähnlichen Bedingungen zur Welt, in kalten Nächten und erbärmlichen Ställen, viel zu viele. Geboren im Elend von minderjährigen Müttern, die kaum wissen, in was für Lumpen sie die armen Würmlein einpacken sollen. Auf diese Tatsache, die uns kaum froh machen mag, lenken die Engel unsere Aufmerksamkeit.
Sie beleuchten sie allerdings aus anderer Perspektive als der unseren, aus einer himmlischen nämlich. Sie bedeuten uns: «Schaut hin, in solcher Nacktheit kommt Gott zur Welt, in solcher Verletzlichkeit gibt er sich in unsere Hände.» Damit wir uns bewegen lassen von seiner Menschlichkeit in einer Welt, die von Unmenschlichkeit und Gewalt gezeichnet ist.
Damit wir zur Menschlichkeit zurückfinden und zur Wahrheit unserer eigenen Bedürftigkeit. Als Menschen sind wir abhängig davon, dass andere für uns das sind, von Anfang an und bis zum Ende. Nicht nur Kinder, nicht nur Kranke, nicht nur Arme, nicht nur Alte, jeder Mensch, ja sogar Gott selber bedarf der Zuwendung und der Aufmerksamkeit. Sonst stirbt er. Und mit ihm die Menschlichkeit.

Licht in die Dunkelheit
Die Zeitungen, das Radio und insbesondere das Fernsehen rücken meist ganz andere Botschaften ins Licht unserer Aufmerksamkeit. Aber Medienschaffende sind schliesslich auch keine Engel. Sie richten ihre Scheinwerfer oft so, dass im Dunkeln bleibt, was unten passiert, bei denen, die in kalten Nächten und in dunklen Ställen zur Welt gekommen sind.
Weil es Wichtigeres zu berichten gibt, von dem, was oben geschieht, bei und mit den Reichen und Einflussreichen, den Mächtigen und den Schönen. Was wir da oben zu sehen bekommen, stimmt uns aber in aller Regel noch weniger froh. Statt aufgeklärt werden wir ernüchtert und denken: The show must go on, wer Glück hat, spielt mit und den übrigen wird mitgespielt. Das treibt viele Menschen in die Resignation und obendrein dazu, was in die Resignation geführt hat, für die Wahrheit zu halten.
An Weihnachten feiern wir das Erscheinen einer anderen Wahrheit. Verkünder dieser anderen Wahrheit sind Engel. Manchmal werden sie gar nicht als solche erkannt. Aber ihre Botschaft ist immer dieselbe: Geht zu dem Stall, sagen sie. Ein Kind ist euch geboren. Macht eure Herzen zu Krippen, darein es gelegt werden kann. Gott kommt zur Welt in kalten Nächten, wo Menschen an den Rand gedrängt werden. Auch in den finsteren Nächten der eigenen Verzweiflung. Dort gibt er sein Geheimnis preis: die Wahrheit von der Verletzlichkeit des Lebens und der Liebe, die uns menschlich macht.
Eine heilsame Wahrheit ist dies, verkünden die Engel. Denen zuerst, die unten sind, draussen, die im Dunkeln sitzen. Und all denen, die darob erschrecken und sich davon bewegen lassen. So bringen sie Licht in die dunkle Realität unserer Zeit und erhellen die Bühne, auf der wir alltäglich agieren, diese himmlischen Beleuchter. An Weihnachten haben sie Hochkonjunktur. Gesegnete Festtage!

Käthi La Roche