Ein Schmuckkästchen in neuem Glanz

Der Saal des Hauses «Zum Mohrenkopf» am Neumarkt 13 ist renoviert worden. Claudia Keller erzählt die Geschichte des Kleinods.

Ein züngelndes Fabelwesen schlängelt sich durch Blumengebilde, auf weissen Kacheln ist eine idyllische Fischerszene vor einer alten Mühle zu bestaunen. Die Rede ist weder vom Schloss Schönbrunn noch von der Hermitage; es handelt sich bei diesen Beschreibungen um den Saal im 1. Stock am Neumarkt 13 im Haus «Zum Mohrenkopf».

Der grosse Saal ist heute zweigeteilt, der eine Teil dient profan als Durchgangsbereich; im andern Teil hingegen findet sich eine Stuckdecke mit Bandwerk, Gittermuster, Lambrequins, Vögeln und Akanthusblättern, die an die Verzierungen im Nachbarhaus «Zur Stelze» (Neumarkt 11) erinnern. Sie entstand um 1740, wahrscheinlich bei einem Umbau, und besticht durch ihre Symmetrie und ihre verspielten Motive, wo es immer wieder neue Details zu entdecken gibt. In den letzten Jahrzehnten wurde im Saal nichts verändert, die Farbe war abgeblättert, Wände und Stuckaturen grauschwarz verfärbt.
Nun ist der Saal neu gestrichen und die Ornamente können wieder in strahlendem Weiss bewundert werden. Zur Einrichtung gehört ein Empire-Konsoltischchen aus Marmor mit einem reich geschmückten Spiegel, dessen Verzierungen im Gegensatz zu den verspielten Ornamenten der Decke von der für den Empirestil typischen Geradlinigkeit dominiert werden. Vervollständigt wird die vornehme Ausstattung durch einen Turmofen von 1780. Seine zierliche Form erhält er durch die Verkleinerung des Oberteils und die bekrönende Louis-XVI-Vase. Auf seine weissen Kacheln wurden mit Sepia verschiedene Darstellungen aufgemalt, unter anderem Elemente von Tempeln aus der Antike, die erwähnte Fischerszene und verschiedene Blumendekorationen. Die Stuckdecke, das Empire-Konsoltischchen und der Turmofen sind alles kunstvolle Zeitzeugen der wirtschaftlich aufsteigenden Stadt.

Im Exil
Bei einer Restauration im Jahre 1927 wurde hinter der Stuckdecke eine bemalte Bretterdecke aus dem 17. Jahrhundert gefunden und ausgebaut. In den Dreissigerjahren gab es Bestrebungen, diese im Schloss Knonau einzubauen, zu diesen «Ehren» kam sie jedoch nicht, und so verweilt sie heute in einem Lager des Landesmuseums. Gemäss einem Artikel aus der NZZ von 1927 liess nichts darauf schliessen, dass unter der Stuckdecke eine andere Decke verborgen sein könnte. Erst als man im oberen Stock den Parkett neu verlegen wollte, stiess man auf die überraschende Entdeckung. Sie ist mit seegrünen Ornamenten auf weissem Hintergrund bemalt und ist mit Rundmedaillons und Blattrosetten geschmückt. Als Ersteller kommt Hans Melchior von Orelli oder einer seiner Nachkommen in Frage.

Weitere Entdeckungen
Nicht nur der Saal im ersten Stock birgt viele Schätze in sich, auch im zweiten Stock befinden sich einige Trouvaillen. Im westlichen Hinterzimmer ist eine gotische Decke mit Stuckrahmen erhalten, im östlichen Vorderzimmer steht ein Empireofen aus dem beginnenden 19. Jahrhundert und im Badezimmer, das an der Ostbrandmauer liegt, kam bei einer Renovation eine Wandmalerei zum Vorschein. Die abgebildete Madonna mit Kind stammt, wie restauratorische Sondierungen ergaben, aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es wird davon ausgegangen, dass das Bild von der damals dort wohnhaften Künstlerin Maria E. von Meiss stammt.

Zürichs «High Society»
Zur früheren Verwendung des Saales ist wenig bekannt; es ist anzunehmen, dass er eine repräsentative Funktion hatte. Doch das Haus, in dem er sich befindet, ist lokalgeschichtlich äusserst interessant. Die wohl bekannteste Bewohnerin war Katharina von Zimmern, letzte Äbtissin von Zürich und Witwe des Ritters von Rischach, die von 1540 bis zu ihrem Tod 1547 mit ihren Kindern im Haus «Zum Mohrenkopf» wohnte. Traditionell war das Gebäude eng mit dem Seidenhandel verbunden: Schon 1455 wurde es vom «Sidenmeier» Meister Jörg bewohnt und ab 1463 war der Seidensticker Jörg Rot dort ansässig. Später gelangte das Haus in die Hände der stadtbekannten Familie von Orelli, die ebenfalls im Seidengeschäft tätig war und auch die Liegenschaft nebenan, das oben erwähnte Haus «Zur Stelze», besass. Mit einem kurzen Unterbruch blieb das Haus bis zum Jahre 1784 im Besitz der Familie. Es ist davon auszugehen, dass die erwähnte Stuckdecke von dieser Familie eingebaut wurde. 1756 wird das Haus als Wirtschaft erwähnt, zu dieser Zeit war der ehemalige Wirt «Zur Löwengrube» (Neumarkt 12) dort ansässig. Weiter zu erwähnen ist Martin von Muralt, der Schwager von Hans Melchior von Orelli, der 1588 im Besitz dieser Liegenschaft war.

Gymnastikdress statt Seidenrobe
In den Dreissigerjahren des vorigen Jahrhunderts übernahm die Stadt das Haus. 1944 mietete Martha Lüscher den Saal, um darin Tanz-, Atem- und Bewegungstherapie zu unterrichten. Sie arbeitete mit kleiner werdendem Pensum bis kurz vor ihrem Tod mit 93 Jahren. Von ihr hat die heutige Mieterin Ruth Obrist den Raum 1991 übernommen, um die Nutzung in ähnlichem Stil weiterzuführen. Ruth Obrist und verschiedene zum Teil sehr langjährige Untermieterinnen vermitteln Yoga, Gymnastik, Tanz, Bewegungstherapien und Ähnliches. Ausgelastet ist der Raum nicht voll und sie würden es begrüssen, wenn mehr Leute den Saal mit den geschilderten Ausschmückungen sehen und kennen würden. Doch grundsätzlich ist sowohl die Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich wie auch Ruth Obrist mit der sanften Nutzung dieses Raumes zufrieden. Ein Gebrauch in grösserem Stil würde sich wegen der fehlenden Infrastruktur und der aufwändigen Pflege schwierig gestalten. Zudem stellt sich das Problem der Nähe zu der Bewohnerschaft, die gestört würde, bedenkt man, dass sich der Raum mitten im Haus befindet.
So besteht eine gut funktionierende Mischform aus öffentlichem und privatem Raum, und alle, die das spannende Angebot in einem wunderbaren Ambiente geniessen möchten, sind bei Ruth Obrist und ihren Kolleginnen willkommen.

Claudia Keller