Nachruf Charlotte Falk

Vom Niederdorf wird gesagt, es habe eine besonders hohe Dichte an Persönlichkeiten und Originalen. Ob Legende oder Realität – seit Mai dieses Jahres ist das Quartier um eine solche Persönlichkeit ärmer.

Charlotte Falk, zu Hause gewesen am Rindermarkt 15, ist am 28. Mai im Waldfriedhof Hönggerberg beerdigt worden. In ihren letzten Lebensmonaten hatte man sie kaum mehr auf der Gasse gesehen. Sie war krank, sie schaffte die steile Treppe vom dritten Stock hinunter zur Haustür nicht mehr. Aber in den Jahren zuvor gehörte Charlotte Falk zum Niederdörfler Strassenbild. Meist war sie in Begleitung ihres Hündchens – «Briciola» hiess ihr letztes. Man begegnete den beiden, wenn sie in der Brunngasse einkauften oder beim Kiosk an der Spitalgasse oder im «Marion» einen Halt einschalteten.
Charlotte hat einen bewegten Abschnitt ihres Lebens zusammen mit dem Maler Hans Falk geteilt. Das waren interessante, intensive Jahre. Sie musste aber auch immer wieder die exzentrischen Pläne ihres Künstlergatten abfedern, vor allem, als ihre beiden Kinder noch im Schulalter waren. Dieses anforderungsreiche Leben hat aus Charlotte einen offenen und ausgesprochen humorvollen Menschen gemacht. Besonders schön hat sich dies jeweils an ihren legendären Geburtstagsfesten gezeigt, wo ein Freundeskreis quer durch die Generationen die alte Dame feierte.
Dass im Niederdorf die nachbarschaftliche Hilfe noch funktioniert, ist ebenfalls keine Legende, sondern wunderschöne Realität. Hätte Charlotte die Fürsorge von Jürg Bosshart, dem Graveur aus der Froschaugasse, nicht gehabt, sie hätte wohl nicht bis zum Schluss in ihrer Wohnung bleiben können. Jürg kaufte ein, schaute täglich vorbei, erledigte alles, was Charlotte nicht mehr selber konnte.
Jürg war es denn auch, der Charlotte auf dem Waldfriedhof auf seinem Schwyzerörgeli ein letztes Abschiedslied spielte.

Daniel Lienhard