Abenteuer Familie in der Altstadt

Unsere Gastschreiberin Denise Looser ist in Zürich aufgewachsen und lebt heute mit ihrer Familie im Zentrum der Stadt und doch in einem Dorf.

Geboren und aufgewachsen in Zürich-Wipkingen, bewegte ich mich natürlich schon in jungen Jahren in der ­Altstadt. Damals vor allem, um mein erarbeitetes Sackgeld auszugeben. Meine damalige Freundin und ich ­gingen an Nachmittagen meist auf den Rosenhof, um zwischen den Hunderten von Ohrringen, Tüchern und Schuhen immer einen von diesen überaus leckeren Langos zu essen.
Später zogen wir manchmal auch abends durch das «Dörfli». Doch das Industrie-Quartier als Ausgehmeile gefiel mir besser als die Altstadt. Denn die Altstadt war ja meistens überlaufen von Menschen, die von ausserhalb kamen, unter anderem, um ihre verkleideten oder andersartig verunstalteten Kollegen durch dieselbe zu zerren und dabei mit Schnaps vollzuschütten, nur weil diese bald zu hei­raten beabsichtigten.
Meine Rückkehr in die Altstadt hatte viel mit der Eröffnung der Bar «Nachtflug» zu tun. Diese Bar hatte es mir ­angetan. Freilich wusste ich damals noch nicht, dass ich dort bald denjenigen Mann treffen sollte, den ich später heiraten und mit dem ich eine Familie gründen sollte. Das war im Jahr 2001. Wenige Zeit später zog ich dann von meiner Zweizimmer-Wohnung in ­Wipkingen an die Schlossergasse. So kam ich dem Dorf allmählich immer näher. Von den Nachbarn kannte ich damals noch niemanden. Auch das sollte sich noch ändern, aber vorerst war ich ja noch fleissig mit meiner ­Arbeit am Flughafen beschäftigt. Ich arbeitete damals als Hochbauzeichnerin im Architekturbüro Itten & Brechbühl, welches zu dieser Zeit gerade mit dem Projekt Flughafenkopf, land­seitig mit dem Bahnhofterminal und luftseitig dem Airside Center beschäftigt war. Dies war eine sehr spannende Zeit. Auch mein Arbeitsplatz am Flughafen war sehr speziell und interessant, mir gefiel die Atmosphäre am Flughafen. Liebend gerne wäre ich da manchmal am Feierabend mit einem Flugzeug in die Ferne gereist, anstatt mit dem Zug nach Hause.

Im neuen Mikrokosmos
Das sollte sich aber schon bald ändern, denn 2003 kam unser erstes Kind Lia zur Welt und damit wich auch das Fernweh. Ich beendete meine ­Arbeit am Flughafen und freute mich fortan auf das neue Abenteuer Familie. Neben meiner Tätigkeit als Mutter und Hausfrau fing ich wieder an zu arbeiten. Und ich lernte nun die Altstadt von einer neuen und wunderbaren Seite kennen. Ich hatte nun plötzlich die Zeit, mich mit dem Leben in der Altstadt richtig bekannt zu machen.
Anfangs hatte ich noch die Möglichkeit, im Käseladen Müdespacher und in der Bäckerei Bertschi einzukaufen. Es liegt mir auch heute noch am Herzen, in den noch übrig gebliebenen und neu dazugekommenen Lebensmittelläden einzukaufen. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen dörflichen Charme jemals so schätzen würde. Man geht durch das Dorf und grüsst sich, man bleibt schnell einmal auf ­einen Schwatz stehen und tauscht sich aus. Ich könnte es mir momentan nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen. Als Wipkingerin waren mir Kontakte mit Nachbarn natürlich nicht fremd, aber ich hätte mir nicht vorgestellt, dass es hier einen solchen Mikrokosmos gibt.

Kinder im Freibad
2006 und 2007 ist unsere Familie um zwei weitere Knaben, Leo und Linus, gewachsen. Ich finde es für meine drei kleinen Kinder wunderbar, hier in der Altstadt zu sein. Es wohnen um und an der Schlossergasse ebenfalls einige Kinder und kaum hört man welche in der Gasse, drängen meine Kleinen, um auch rausgehen zu dürfen. Man trifft sich manchmal auf der Trittliwiese oder an heissen Tagen verwandeln sich die Brunnen zum Freibad. Lustig, wie manche Fremde erstaunt zusehen, wie die «Dorfkinder» jeweils ihre Badtücher um diese Brunnen ­legen, um sich nach dem Bad zu sonnen. Natürlich ist es kein Geheimtipp, selbst ein solch herrlich abkühlendes Bad zu nehmen, vor allem in einer heissen Sommernacht, wenn die Hitze bis am frühen Morgen kaum aus den Gassen und Häusern weicht.
Heute habe ich meinen Beruf als Hochbauzeichnerin aufgegeben und mache die Buchhaltung und die per­sonellen Arbeiten vom «Nachtflug». Auch kleinere Arbeiten vom Elternverein, wo ich im Vorstand bin, erledige ich. Beide Tätigkeiten sind sehr spannend, die eine mit Familie und Kindern, die andere in der lebendigen Nachtwelt.

Gejohle und Scherben
So bin ich, dank den Kindern, aber auch durch unser Geschäft, immer mehr zur Altstadtbewohnerin geworden und finde es eigentlich ein schönes Privileg, dass wir hier leben und arbeiten können. Das nächtliche Gejohle und das Klirren der Scherben gehört da auch irgendwie dazu. Auch wenn sich ab und zu kleinere Gruppen in einen Hinterhof oder auf ein ­ruhigeres Plätzchen «verirren» und
da den Abend und die einbrechende Nacht geniessen, stört mich das vor ­allem, wenn es danach manchmal in den Gassen stark riecht. Solange schlafende Kinder vom Lärm nicht
aus dem Schlaf gerissen werden, macht es mich manchmal nur wütend, wenn ich am nächsten Tag einen Haufen von Scherben antreffe. Vor allem im Sommer, da Kinder ja manchmal meinen, sie müssten unbedingt barfuss herumrennen.
Mit der neuen Verkehrsregelung, der Fussgängerzone in der Altstadt, bin ich schon recht zufrieden. Schade ist nur, dass alle immer so sehr im Druck sind. Der Gedanke der Lieferanten ist meist nur der, ihre Ware so schnell wie möglich zu liefern, um die Anlieferungszeiten einzuhalten. Nach längeren Wartezeiten in den Blechschlangen sind die Fahrer dann oft noch ­gestresster und fahren dann oft noch schneller.
Ich bin gespannt, wie sich der Entscheid, den Verkehr in der Kirchgasse neu zu organisieren, auswirkt.
So bin ich also von der Stadt in ein Dorf gekommen, das trotzdem städtischer nicht sein könnte.

Denise Looser

Unsere Gastschreiberin
Denise Looser, geboren 1978, ist in Zürich-Wipkingen aufgewachsen. Nach der Sekundarschule absolvierte sie eine vierjährige Lehre als Hochbauzeichnerin. Zwischendurch jobbte sie nebenher im Gastgewerbe. Nach der Lehre arbeitete sie vier Jahre auf ihrem Beruf, wirkte bei Bauprojekten auf dem Flughafen mit.
Seit 2003 wohnt sie mit ihrem Mann in der Altstadt, im Oberdorf, inzwischen als Mutter von drei kleinen Kindern. Seit Ende 2005 besorgt sie von zu Hause aus die Administration für das Geschäft ihres Mannes, der die Bar «Nachtflug» führt. Sie ist im Vorstand des Elternvereins Altstadt rechts der Limmat.