Steak unterm Feuerring

Wo man bis vor ein paar Jahren ein Nümmerli ziehen musste, wird heute getrunken, gegessen, getanzt und geflirtet: im Haus der PTT an der ­Ecke Selnau- und Brandschenkestrasse. Dort hat der Restaurant-Club «Jade» eröffnet.

Herr Keck drückte sich ins bequeme helle Lederpolster und beobachtete die Leute in diesem für Zürcher Verhältnisse geradezu riesigen Lokal. «Überaus freundlich, schnell und aufmerksam ist er, der Kellner», sagte er schliesslich, «obwohl es platschvoll ist!» Am Mischpult schraubte der DJ an seinem sieben Meter langen Tresen die Phon-Zahl höher, um dem munteren Palaver Herr zu werden; ­etwas Jazziges schwoll an. Die vielen «Frauen zwischen 20 und 37», wie Herr Keck schätzte (er hatte den Überblick), berührten sich ständig in der Art von «Hör mal!», um die Aufmerksamkeit ihrer Freundin zu erheischen. Die meisten Frauen trugen schwarze Kleidung, ein Täschchen mit Goldkettchen und Stöcklischuhe mit messerscharfen Absätzen.
Herr Keck nahm einen Schluck Chasselas Château du Chatelard aus Montreux/Vevey (Fr. 7.– der Dezi), ich ebenso. Der Wein wird immer aus 7-Deziliter-Flaschen serviert und nach Konsum abgerechnet. «Frisch, mundig, einfach gut», urteilte Herr Keck. Wir sassen unter einer der ­riesigen runden Lampen mit Feuerpünktchen drauf. Mein Gegenüber gut gefedert, bei mir ging es hart auf hart: Ich war eben vom Training von Bauch, Beinen und Gluteus maximus zurück und sass wie gerädert auf ­einem weissen Stuhl mit widerständiger Oberfläche. Mit Rauchen war nichts, sonst hätte ich meinen Tischpartner alleine lassen müssen und mich an die Bar stellen, wo die Männer sassen. Im «Jade» sind die Frauen den Männern numerisch deutlich überlegen: 4 zu 1. – Geführt wird das «Jade» von der Prime Gastro AG mit einem Kapital von 100 000 Franken und sechs Herren im Verwaltungsrat. Warum der Name? «Die Menschen in China glauben, Jade stamme direkt von den Göttern und dass Jade jedem Glück bringt, der ihn trägt. Er macht zufrieden und schenkt mehr Freude am Leben. Zudem symbolisiert er Aufrichtigkeit und Schlichtheit und gilt als Symbol von Macht, Reichtum, Erfolg und Ansehen. Jade steht für ­alles Gute, Kostbare und Schöne», ­erklärt die Website.

«Hey, ja hoi duuu! So guet!»
Einst sassen in diesen Räumen reihenweise Telefonfräuleins der PTT, wusste Herr Keck. Die Nummern ­waren noch dreistellig, Vorwahlen unnötig, und die Damen zogen die Stöpsel oder drückten sie in den ­Anschluss des gewünschten Teilnehmers mit einer Art Bananenstecker. Auf den Telefongeräten, Modell schwarzer Gabelstapler mit Drehscheibe, klebte die Mahnung: «Fasse Dich kurz!» (Das würde man sich heute öfters im Tram wünschen, wenn es sich nach Feierabend in eine fahrende Telefonkabine verwandelt.) Hinter uns hatte eine Frau ein gross gewachsenes Exemplar von Mann entdeckt: «Hey, ja hoi duuu! So guet!» entfuhr es ihr und sie ergriff seinen Arm. «Ah, hoi, sali!» antwortete der Mann irritiert, weil er sich offensichtlich nicht mehr erinnern konnte oder wollte. «Jöööö! So schööön!» sagte die Frau. Herr Keck und ich blickten uns kurz an und widmeten uns den Ravioli mit Spinat und Ricotta (er) und dem Rindssteak mit Bratkartoffeln (ich). Die Pommes alumettes – zündholzkleine frittierte Kartoffelstäbchen – waren leider schon aus, daher die Patati aus der Pfanne. «Der Peterli ist frisch», lobte Herr Keck seine Ravioli (Fr. 29.–), «was man von mir nicht behaupten kann.» Mein Rinds­filet vom Grill (Fr. 49.–) tutto bene, der kräftige Portwein-Jus etwas gar muskulös geraten.

In Kecks Kabinett
Aufgeschnappt am Nebentisch. Mann: «Gasch eis go rauche?» – Frau: «WAS?» – Mann: «ÖB DU WOTSCH GO RAUCHE!» – Frau: «Nei, gang zerscht du!» – Er stellt sich an die Bar, sie sitzt alleine am Tisch und tippt SMS ins Mobiltelefon. Dann setzt er sich und sie stellt sich an die Bar. «Eis cheibe Ggläuf wäge däm cheibe Rauche!», ruft er ihr nach.
Tja, so wird das wohl vom nächsten Jahr an herauskommen mit dem Rauchverbot.
Oder vielleicht kommt es so heraus: Herr Keck und ich gingen in sein Kabinett an der Augustinergasse. In der Wohnküche der lange Tisch, darauf der Rotwein und im Kühlschrank der Weisse. Wir genossen ein Glas und die Ruhe und eine Zigarette und Herr Keck sagte: «Das Zusammensitzen hier ist das Schönste dieses Abends.» Wo er recht hat, hat er recht.

René Ammann*

Restaurant-Club «Jade», Brandschenkestrasse 25, 8001 Zürich, Tel. 044 202 80 02, www.jade.ch.
Restaurant offen Montag bis Mittwoch 11.30 bis 24 Uhr, Donnerstag 11.30 bis 2 Uhr, Freitag 11.30 bis 15 und 18 bis 21.30 Uhr. Club Freitag 23 bis 4 Uhr und Samstag 22 bis 4 Uhr.

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Ammann, dann wieder Herr Keck.