Reise ins Morgenland

Für eine Reise ins Morgenland braucht es weder Kamele noch viel Zeit, denn das Morgenland liegt seit anfangs April am Hechtplatz. Unsere Kulinarier wanderten also zu Fuss nach Libanon, genau gesagt zum Restaurant «Le Cèdre Bellevue» (früher Café Raben).

Maurice Houraibi, der mir schon früher den Libanon näher brachte, hatte uns einen schönen Tisch reserviert und sein Bruder Ibrahim beriet uns in der Auswahl der Gerichte. Was auch Not tat, denn es gibt letzten Endes fast hundert verschiedene Mezzes. Hier hilft auch
die schön gebundene Speisekarte mit Zedernholzrücken.

Köstliche Mezzes
Es gibt kalte und warme Mezzes. Daneben auch Grilladen vom Holzkohlengrill und Fleischgerichte aus Mamas Küche. Wir wählten verschiedene Schälchen, welche sich dann als Platten entpuppten und der Nebentisch abgeräumt wurde, damit alles Platz hatte. «Nur Mut!», sagte Herr Ammann, der erstaunlicherweise einige Worte libanesisch sprach, auf Deutsch und schöpfte sich eine Portion Fatteh Hommos bil Laban (ganze Kichererbsen an leichter Joghurtsauce mit Knoblauch und Pinienkernen, für zwei Personen Fr. 18.50). Da eben eine Schale Fatusch eintraf (Tomaten- und Gurkenstückli, Lattich, fein gewürzt mit Olivenöl und Zitronensaft, mit gerösteten Brotcroutons, für eine Person, Fr. 13.50) begann ich das Mahl mit dieser Köstlichkeit. Hier muss unbedingt die Sauce mit Koriander und Pfefferminze erwähnt werden, leicht und bekömmlich. Nun folgten die Platten Schlag auf Schlag und wir assen mit nahöstlicher Geduld und Vergnügen. Zu erwähnen sind die Hommos bi Snoubar (ein Kirchenerbsenpurée mit gerösteten Pinienkernen und Beste Falafel (frittierte Kugeln aus Kichererbsen, Ackerbohnen und Gewürzen nach original libanesischer Art, Fr. 13.50). Nach einem weitern «Schälchen» mit einer wunderbaren roten Quarksauce (laut Ibrahim Houraibi ein libanesisches Viagra-Generikum) mit einer Designerpflanze in der Mitte, bestellten wir den Fleischspiess (Poulet, Kalb oder Lamm), den wir am Anfang geordert hatten, mit vielen Entschuldigungen, die lächelnd und wissend entgegengenommen wurden, ab. Herr Ammann und ich assen erleichtert kreuz und quer weiter. Da die Bestellung in libanesischen Buchstaben geschrieben wurde, konnten wir auch nicht ahnen, was alles kommen sollte. In den Speisen dominieren Knoblauch, Koriander, ein paar scharfe Gewürze und vor allem Pfefferminze. Letztere zierte auch das Dessert, das sich Herr Amman und ich mit grossem Vergnügen doch noch einverleibten. – Libanesische Gäste und französisch sprechende Besucher aus dem nahen Osten bestellten zu viert und zu sechst die Hälfte wie wir, aber wir sind lernfähig. Und wir kommen wieder.

Libanesischer Wein
Wir fühlten uns wie die Könige aus dem Morgenland, wobei uns kein Stern leuchtete, sondern der Wein und die arabische Musik mit «Habibi» (einfach übersetzt: Liebe) uns in freudige Stimmung brachte. Zu Beginn erfrischte uns ein Blanc de Blanc Château Kefraya (dl Fr. 7.50) den Herr Ammann weiter pflegte, und ich wechselte zu einem Cabernet Sauvignon vom gleichen Schloss, der mich langsam in den nahen Osten entführte (dl Fr. 7.50). Im Libanon wird gemäss der Weinkarte seit fünftausend Jahren Wein angebaut, ich denke, sie wissen langsam, wie das geht. Das Resultat war gut.

Hohe Qualität in historischem Haus
Das «Bellevue» im Namen zeigt, dass sich das Lokal in der Nähe vom Bellevue befindet, denn es gibt seit 1995 ein «Le Cèdre» an der Badenerstrasse 78 beim Bezirksgebäude, das auch von Maurice Houraibi geführt wird. Er steht am Morgen früh auf und beginnt sein Tagewerk vor sechs Uhr im Engrosmarkt, wo er alles Gemüse und die Früchte für den Tag einkauft. Ebenfalls sucht er sich im Schlachthaus die besten Stücke für die Fleischgerichte selber aus. Pro Woche werden für beide Betriebe je ein ganzes Kalb und ein Rind verarbeitet. Das wundert uns nicht, denn die Plätze in beiden Restaurants sind meistens alle besetzt.
Maurice Houraibi und seine Familie (vier Brüder) stammen aus Saida im Libanon, wo am Tag des Besuches eben eine neue Regierung vorgestellt wurde. Er hofft, dass sie diesmal hält. – Von Beirut ist man mit dem Schiff in zweieinhalb Stunden auf Zypern. Wer schon einmal dort war, kennt die unzähligen Mezze-Lokale in Larnaca, Limassol oder Paphos. Aber diese libanesischen Varianten, die man hier im Rabenhaus erhält, sind nicht zu vergleichen, einfach feiner und besser.
Zürichs älteste mit Namen überlieferte Herbergen waren die Wirtshäuser «Zum Raben», «Zum Hecht» und «Zum Bilgerischiff». Alle drei hatten mit dem berühmten und viel besuchten Pilgerort Einsiedeln zu tun. Die im Kanton Schwyz gelegene grandiose Klosteranlage wurde zu Anfang des 9. Jahrhunderts als Einsiedelei vom heiligen Meinrad gegründet. Er hielt sich nach der Legende zwei Raben, die er aufzog und ernährte. Zwei Räuber, die er mit Wein und Brot bewirtet hatte, erschlugen den Einsiedler. Die beiden Raben verfolgten die Mörder bis nach Zürich, wo diese bei der Schifflände eine Unterkunft fanden. Die rächenden Raben setzten sich aufs Dach und krächzten so lange, bis man aufmerksam wurde und die Missetäter festnahm.
Tatsächlich war der «Raben» im heutigen Viertel Oberdorf eine der ältesten Herbergen in Zürich. 1317 wurde er mit dem benachbarten Wirtshaus «Zum Hecht» unter einem Dach zusammengebaut. Um 1722 soll die uralte Gaststätte eingegangen sein (Auszug aus Walter Baumanns Buch «Zu Gast im alten Zürich»).

Peter Keck

Restaurant «Le Cèdre Bellevue», Schifflände 5, 8001 Zürich, Telefon 044 252 83 70, offen alle Tage, von 8 bis 24 Uhr.