Zu Gast im Restaurant «Nagasui»

Wo Orchideen links und rechts des Schanzengrabens blühen, da liessen sich unsere Kulinarier gerne nieder: Im «Nagasui», dem asiatischen Restaurant im Erdgeschoss des SIA-Hochhauses.

Dieser Bank kann man trauen: Sie ist grundsolide und trägt mühelos drei Herr Kecks. Die Bank ist aus dickem Holz und steht im «Nagasui», denn Stühle gibts keine. Man hebt das Bein und fädelt sich ein. Neben unserem Tisch floss eine Wassertapete die Wand hinab, und auf jedem Tisch stehen Kübelchen voller Löffel, Gabeln
und Essstäbchen.

Einst Beefomato, jetzt Tom Kha Gai
Der Boden des Restaurants ist rot wie Chili, was gut zur Umgebung passt: Vom Lokal wie von der grossen Terrasse aus sieht man den Alten Botanischen Garten. Der Hügel war einst das Bollwerk «zur Katz» – und beherbergte von 1837 bis 1976 den Botanischen Garten der Uni.
Herr Keck hatte seinen Schnauz gestutzt, weshalb sich kein Bierschaum (die Stange Eichhof kostet Fr. 5.–) darin verstrüppte. Ich genoss einen Zweier Sirius Blanc von Sémillon- und Muskatellertrauben zu Fr. 6.50 der Dezi. Wie immer wusste Herr Keck, was an diesem Ort früher stand: ein «Mövenpick». Und zwar jenes, in dem der Beefomato kreiert wurde. Wer – wie ich – das Gericht nicht kennt: Es besteht aus Rindsbouillon und Tomatensaft und wurde eiskalt serviert. Er habe seinen Gästen «x-mal Beefomato aufgetischt», sagte Herr Keck, «und das immer mit grossem Erfolg». Dann zupfte er sein gestreiftes Jackett zurecht und zog an seinen Glasnudeln mit Crevetten.
Die Vorspeise heisst «Yam Woon Seng» und kostet Fr. 17.–. Er bekunde eine gewisse Mühe mit der Elastizität der Nudeln, meinte Herr Keck und suchte vergeblich nach einem Messer. Aber
als Händler von Knöpfen und elastischen Gummibändern ist er mit Humor ausgestattet: «Ich bin ja aus derselben Branche.» Das Gericht schmeckte ihm vorzüglich: «Alles frisch und üppig. Viele grosse, gut marinierte Crevetten.» Meine Kokossuppe mit Pouletstreifen, Tom Kha Gai (Fr. 13.50) war tadellos.

Schall, Rauch und Jeannie
Das Lokal ist mittags wie abends so voll, dass die Gäste am Tresen warten, bis ein Platz frei wird. Das mag ebenso am flinken und höflichen Service liegen wie an der Qualität der Speisen
und dem freundschaftlichen Preisniveau. Wir sichteten jedenfalls viele Familien mit Kindern, Menschen aus Asien wie Amerika, Presseleute und drei junge Frauen, die ihr langes blondes Haar allesamt zu «I dream of Jeannie»-Frisuren gezurrt hatten und wie Springbrunnen aussahen. (Für alle unter 50: Jeannie war der gute Geist aus der Flasche in der TV-Serie «Bezaubernde Jeannie».) Die drei waren nicht die einzigen mit originellem Kopfputz: Ein Kellner trägt einen Biberschwanzziegel auf dem Schädel.
Die guten Geister im «Nagasui» sind Thomas Gut und Kim Ooi, die Besitzer, und Michelle Sommer, die Geschäftsführerin. Gut und Ooi führen übrigens seit 15 Jahren auch das «Tiffins» im Seefeld. Ihr Lokal an der Selnaustrasse öffnete am 7. Januar 2008 seine Pforten. Ursprünglich hätte der Betrieb im August 2007 starten sollen, erzählte Frau Sommer, aber Anfang Juli 2007 brach im Untergeschoss ein Brand aus. Das 12-stöckige und 42 Meter hohe Haus, Sitz des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA war gerade fertig renoviert gewesen.

Sternchen, Blümchen, Tränen
Mein Gegenüber legte die Orchidee auf dem Teller weg und genoss erste Scheiben vom gebratenen Rindfleisch mit pikanter süss-saurer Sauce «Gan Sao Niu» (Fr. 27.50). Da lief ihm das Augenwasser über. Für einmal nicht über einen Witz. Er hatte ein Stück Chili erwischt. Die Schärfe der Gerichte im «Nagasui» ist mit roten Sternchen angegeben, die vegetarischen mit einem grünen Blümchen. Herr Kecks Gericht hatte zwei von drei Sternchen, das Nastuch, mit dem er sich die Tränen trocknete, war mit PK bestickt. «Hervorragend gewürzt», lobte er, «es hätte gut und gern noch zwei weitere Leute gesättigt.» Der Ripasso aus dem Veneto zu Fr. 6.50 der Dezi löschte seinen Brand.
Ich war wie üblich beim Weissen geblieben und ass gebratenen Reis mit Chili, Basilikum und Crevetten (Fr. 25.50). Auch dieses Gericht grosszügig in der Quantität und tipptopp in der Qualität. Hoch gelobt von Stammgästen werden die Dim Sums, in Bambuskörbchen gedämpfte Teigtaschen. Zum Abschluss rauchte ich an der Bar eine Zigarette (dort durfte man bis Ende April noch), Herr Gut und Frau Sommer gesellten sich dazu und ich trank bei bester Laune Herrn Gut versehentlich ein Glas Mineral weg, pardon.

*René Ammann

«Nagasui», Selnaustrasse 16, 8001 Zürich, Montag
bis Freitag von 11 bis 22 Uhr. Telefon 044 288 38 88 (keine Tischreservation möglich), www.nagasui.ch.

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Keck, dann wieder Herr Ammann.