Günstige Pasta del giorno

Die Ecke Oberdorfstrasse 2 hat ­eine gastronomisch bewegte Geschichte: Einst «Oberdörfli», dann «Surprise», dann «Des Arts», dann «Oberdorf», dann «Krill», nun «Tschingg». Unsere zwei Kulinarier am Selbstbedienungstresen.

Die Signora am Telefon hatte gesagt: «Sie wissen, dass Sie nicht reservieren können?» Nein. Wusste ich nicht. «Aber um 19 Uhr wird es sicher einen Platz haben für Sie.» Dem war auch so. Herr Keck und ich waren vor dem «Tschingg» auf ein Bier in die «Weisse Rose» gegangen, hatten uns draussen auf die langen Holzbänke gesetzt (hoch das Bein) und innert kürzester Zeit zwei Damen, zwei ­Herren und ein gemischtes Doppel kennengelernt. Alle rauchten, mit Ausnahme von Herrn Keck.
Dann stiegen wir zum Oberdorf hoch und ein paar Stufen hinab in den neuen «Tschingg» mit seinem grossen L-förmigen Buffet, hinter dem ein Koch die Kelle schwang. Wir ­setzten uns an einen der faustdicken Holztische, Herr Keck gepolstert, ich sass auf einem tonnenschweren Ho­cker aus Massivholz. Auf dem Tisch stand ein Käsestreuer mit Parmesan. «Si wüssed, dass Si bi mir a de Kasse chönd bschtele?» meinte die Frau mit weissen Handschuhen, die weisse Tischsets, Papierservietten und Gabeln aus Chrom hinlegte. Der gemeine Italiener isst Pasta bekanntlich ohne Löffel oder Messer. Nicht wie hier im Heidiland, wo manche die Spaghetti mit dem Messer klein­sabeln, statt an der Gabel aufzurollen, und mit dem Löffel verspeisen.

Cappelletti normal oder piccolo
Wir standen also vor der elektronischen Tafel, wo drei Dinge angeboten werden. Pasta del giorno, Pasta standard und Pasta-Salat. Alle drei gibts «piccolo» oder «normale» und kein Gericht kostet mehr als 10 Franken. Herr Keck wählte die Pasta «Tschingg» mit Kapern und gehackten Oliven, ich hübsch gedrehte Cappelletti mit Tomatensauce, von denen eins auf meiner Hose landete. Der Koch wünschte uns «en Guete» und wir waren durchaus zufrieden. Auf den Salat – für die meisten Gäste gang und gäbe; ich halte es mit Udo Pollmer – verzichteten wir. Auf den Prosecco für mich und das Glas Rotwein für Herrn Keck hingegen nicht. Ein kurzes Wort zum Lokal: Aus zwei Stöcken wurde einer, der untere. Ein bisschen Kantine, ein bisschen Keller, an den Wänden eine durchaus reizvolle Collage aktueller Fotografie, und weil man so weit unten sitzt, sieht man die Waden der Velofahrer und jene der Fussgängerinnen, nun ja, irgendwie ebenso.

So kurz wie nie, so günstig wie nie
Und noch ein Wort zu den Gästen: Hinter mir drei jüngere Frauen mit identischen Frisuren. Sie tranken ­Rivella aus der Flasche, stemmten die Ellbogen auf den Tisch beim ­Pastaessen und sagten Dinge wie: «D’Chinese mached schwarzi Eier.» Und: «Das isch mega fein.» Links ­neben uns ein Vater mit seinem Sohn, die munter aufeinander einschwatzten. Und beim Eingang ein Pärchen. Sie sprach am Handy, er tippte SMS. Die Musik beschallte uns alle, und die Lüftung war auf den Knopf In-einer-Stunde-blaue-Lippen eingestellt. – Um 19.13 waren wir beim «Tschingg» eingekehrt, um 19.53 standen Herr Keck und ich ­wieder vor der «Weissen Rose» in der Sonne. Wir hatten für zwei Teller Pasta, ein Glas Prosecco und ein Glas Rotwein sagenhaft tiefe Fr. 31.– bezahlt, zwei feine frische Cornetti inklusive. Die Wirtin hatte sich nicht gezeigt, sie war zwar im oberen Stock gewesen. Aber sie hatte mir bereits am Telefon gesagt, wir sollten den Altstadt Kurier doch einfach abgeben, was wir taten. «Dies war unser kürzestes Essen je. Und unser güns­tigstes», stellte Herr Keck fest, als wir durchs Oberdorf gwaggelten. Und dann erzählte er, der «Tschingg» sei für einen Preis nominiert: als ­Restaurant, das einen Trend auslöst und andere beeinflusst. Und ich nickte und sagte, ah, so.

René Ammann*

«Tschingg», Oberdorfstrasse 2, 8001 Zürich.
Montag bis Samstag 9 bis 23.30 Uhr, Sonntag 15 bis 23 Uhr. Tel. 043 210 38 07 (keine Tischreservation möglich), www.tschingg.eu.

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Ammann, dann wieder Herr Keck.