Ça c’est Paris! In Zürich

Die «Brasserie Lipp» braucht nicht nach den Sternen zu greifen – sie ist in der Sternwarte Urania zu Hause. Unsere beiden Kulinarier verbrachten den Abend avec plaisir in Fronkreisch.

Mit unserem Nachbarn oben links verbindet uns einiges. Strasbourg und Zürich sind einander seit dem Mittelalter zugetan, spätestens seit die Limmatstädtler 1456 auf Weidlingen Hirsebrei ins Elsass ruderten. In der Couture gabs den Cul de Paris, eine Art Höcker am Hintern, der so ausladend war, dass sich ein Petit Déjeuner darauf stellen liess. Die hiesige Variante war bescheidener, doch konnte man auf dem Cul de Zurich noch immer ein Croissant deponieren.

Merci, Monsieur Hardi!
Und dann gibt es in Paris wie Zürich eine «Brasserie Lipp» – mit tupfgleichen Fayencen, Plättliböden und Messing. Zur Adventszeit war die Hutablage voller Päckli mit goldenen Schleifen gefüllt. Einer Laune folgend, hatte ich nachgeschlagen, was «keck» auf Französisch heisst. Hardi. Also sassen Mössjö Hardi und ich am weissgedeckten Tischchen, er mit hervorragendem Chablis (1 dl zu Fr. 9.90), ich mit köstlichem Sauvignon blanc (1 dl zu Fr. 6.30).
Im «Lipp» heissen viele Monsieur. Monsieur Cassim ist der Geschäftsleiter. Monsieur Remond empfing uns, Monsieur Bojkovic, seit 1993 hier im Service, brachte uns die Speisen, sein Sohn Nikola arbeitet in der Küche im 3. Lehrjahr, und Monsieur Martin Candrian ist seit 2002 Pächter und Lizenznehmer des Lokals, das heuer 20 Jahre alt wird.

La vie parisienne, aber Zürcher Art
Das Pariser «Lipp» ist schon 130 Jahre ein Markenzeichen, seit Léonard Lipp und seine Nachfolger Bier und Sauerkraut auftrugen. Autoren wie André Gide, Jean Cocteau bissen an den Marmortischen in Würstchen, Frankreichs Premier François Mitterrand sog Austern ein. Unter den Gästen waren Anton und Hans-Peter Jäger, sie eröffneten 1990 den Zürcher Ableger.
3000 Austern bestellte Anton Jäger zur Eröffnung am 24. Oktober. Die erste Auster ging auf Rechnung des Hauses – und Jägers Rechnung auf: Die Zürcher waren reif für Muscheln, Crevetten und Schnäggli.
Herr Keck wusste von Zeiten zu berichten, da hiess das «Lipp» noch «Variété Urania», wo Jongleure auf Kartenspieler, Akrobaten, Sänger und Tänzerinnen trafen. Die Television zog dem Treiben den Stecker. Die Zürcher legten die Beine fortan in der eigenen Stube hoch und die Besitzerin, die Brauerei Löwenbräu, war ratlos, was sie mit der Lokalität tun wollte. Läden schienen das Naheliegende.
Heute gehört das Haus der PSP Swiss Property, einer Immobilienfirma, ebenso wie der «Vordere Sternen», der ein Bürohaus werden soll. In der Chef-Etage der PSP sitzt kein Stadtzürcher, der sich für den Erhalt stark machen könnte, wenn er denn wollte: Der Sitz der PSP liegt in Zug, das Management lebt in Wollerau.

Huitres, Foie gras, Choucroute
Herr Keck schlürfte eine Auster (Fine de Claire No. 4 zu Fr. 3.90 das Stück) und meinte: «Genau die richtige Grösse.» Ich genoss die Terrine de foie gras de canard mit Feigenkompott (Fr. 19.50) und ging rauchen. In der Kälte, im «Lipp» gibts kein Fumoir.
Weiter gings für Herrn Keck mit Rognons (Kalbsnieren), gebraten an Senfrahmsauce, mit Tagliatelle und Gemüse, zu Fr. 38.80. – «Tadellos», meinte er und liess sich Juliénas nachgiessen (Fr. 6.50 pro dl). Ich genoss das Sauerkraut mit geräuchertem Speck, Pistazien-Saucisson und Wienerli zu Fr. 32.80. Dann zottelten wir über die Urania-Brücke zurück ins Dorf.
«Es scheint sich alles aufzulösen», meinte Herr Keck beim Abschied. Und winkte mir mit dem Stoffnastuch nach.

In eigener Sache: Adieu! Und danke!
Nach sechs Jahren «Kulinarium» gebe ich auf. Nicht aus Überdruss, sondern weil das totale Rauchverbot in Zürich mir am Auswärtsessen den Spass nimmt und die Musse hinzu. Das Heimkommen an einem fremden Ort gibt es für mich seit dem 1. Mai 2010 nicht mehr, daher esse ich nun meist zu Hause, statt fast täglich auswärts.
Der Aufenthalt in den Lokalen wurde rapide kürzer, die Tischgespräche mit Herrn Keck ebenso. Auf das letzte Glas oder den Verdauungsschnaps verzichteten wir, weil ich als Gast nicht vor die Türe gestellt werden will, wenn ich eine Zigarette rauche. Das Zürcher Gezänk um das Aufstellen von Heizpilzen für Raucher ist eh kindisch, und Herrn Keck meinen Lebensstil aufzuzwingen und in eine der wenigen Raucherbars im Niederdorf zu bitten, ist unwürdig. So blieb als Lösung nur das Aufhören.
Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Keck für all die Abende und den Lesern für ihre Sympathie und sage als Kulinarier adieu.

René Ammann*

«Brasserie Lipp», Uraniastrasse 9, 8001 Zürich,
Montag bis Donnerstag 8 bis 24, Freitag 8 bis 1, Samstag 11 bis 1, Sonntag 11.45 bis 23 Uhr. Von 8 bis 11 Uhr gibts Café mit Croissant für Fr. 4.20. Tel. 043 888 66 66, www.brasserie-lipp.ch.


*René Ammann und Peter Keck assen und tranken jeweils zu zweit, weil es geselliger war.