Zürich, eine Hymne

Die Gastschreiberin dieser Nummer stammt aus der DDR, lebt seit vielen Jahren hier und schrieb eine Hymne an Zürich, quasi.

Von Sibylle Berg

Zürich ist mild und grossartig, und denk ich dran, fallen mir kleine Häuser ein, kleine Uhren, kleine Menschen, eine winzige Nationalhymne und die rote Fahne mit weissem Kreuz, die Hilfe verspricht und Heimat. Und eine Sehnsucht in mir: Dort leben will ich, in Ordnung, und wissen, worum es geht. Die Schweizer wissen das einfach. In ihren stämmigen, wettergegerbten Gesichtern steht kein Zweifel. Heiter hissen sie in ihren Vorgärten die fröhliche rote Fahne, essen Schoki und sind’s zufrieden. Und so kommt es, dass fragt mich eines nach der schönsten Stadt, ich die saubere Kleinstadt am Zürichsee nenne.
Der fragende Mensch verzieht in aller Regel den Mund, aus dem sodann Worte wie Spiessigkeit, anachronistische Weltabgeschlossenheit, Inzest, Nazischätze und würg kommen. Ist mir egal. Ich liebe Zürich, und nie werde ich aufhören zu träumen, ich bestünde die Aufnahmeprüfung und könnte für immer dort bleiben. Grad steh ich am Fenster meiner kleinen Wohnung und schaue nach unten. Da ist die Altstadt, da ist das Paradies. Dort werde ich nie wohnen, weil die Mieten für einen Monat mein Jahreseinkommen übersteigen. Schau nur, da muss der Fluss sein. Wie der gut riecht. Der Fluss mittig durch die alte Stadt, der hinten zum See wird. Rund um den See, weit weg, Kelims befestigt mit Bergen drauf. Alte Häuser im Dunst, Regen auf dem Asphalt und sauber riecht es.

Niemand versteht es
Niemand versteht, warum ich die Schweiz liebe. Die Schweizer nicht, denn die wollen alle nach New York, weil es da so authentisch ist, die Deutschen nicht, die reden von eng und Nazigold, von Spiessigkeit, und die sind einfach nur doof. Ich bleibe dabei; das schönste Land der Welt ist die Schweiz und in ihr zu weilen ist, sich wie Daumengross zu fühlen und in einer Seerose zu liegen, darin über einen warmen Teich zu treiben, von der Sonne gewärmt. So ist es, durch das Land zu laufen, getragen von der runden weichen Schweizer Sprache, gewärmt von der Natur, die überall steht (Amerikaner fahren 10 Stunden, um sich in Utah Berge anzugucken, wie sie hier alle 10 Meter wachsen), behütet von der Liebenswürdigkeit der Eingeborenen.
Weil wir gerade davon reden: neulich sass ich in einem Schweizer Café, ein Betonmischwagen kam, um seinen schmutzigen Job zu tun, und bevor die Bauarbeiter, in aller Welt als rauhe Gesellen bekannt, zur Vollstreckung gingen, deckten sie parkende Mopeds mit Deckchen zu, wie Babys. Anderenorts wären die Dinger einbetoniert worden. Das nur am Rande.

Angesprochen worden
Nirgends sehen die Menschen so hübsch aus wie hier. Sie haben rote Wangen von der gesunden Luft (die Rauschgiftsüchtigen mit in dem Fall gelben Wangen sind Ausländer), sie kleiden sich nett und haben dichtes Haar. Die kleinen Häuser sind sauber und schellte man im Winter frierend an der Tür, bekäme man sicher überall Einlass und einen Milchkaffee.
Langsam ist das Leben hier, und das macht das Gefühl, Zeit gäbe es nicht und der Tod sei nur eine Erfindung. Als ich zum ersten Mal in der Schweiz war, vor Jahren, sprachen mich Schweizer an und ich fürchtete mich. Sie erzählten, dass sie sich über das Wetter freuten, über ihre Häuser und Berge, und von Menschen angesprochen werden kannte ich nicht, drum dachte ich, dass sie mir Böses wollten. Bis heute wundere ich mich darüber, dass die Menschen hier einfach miteinander reden, aber etwas Böses fürchte ich nicht mehr, wo soll die Bosheit herkommen, in einem Land, das Schönheit produziert wie andere Rinderwahn und Massenmörder.– Liebe Schweizer, nichts möchte ich von diesem Land, als herumgehen, mit den Menschen plaudern, die Strassen sauber halten, den Müll sortieren, kleine Steinchen in die Seen werfen (natürlich danach wieder raussammeln und sortiert entsorgen), die kleine Flagge möchte ich hissen und die Sprache lernen, die klingt, als wäre man noch bei Mutter. Möchte auf den Schweizer Wiesen liegen, danach die Halme wieder aufrichten und die Schweizer Wolken ansehen, ohne sie anzupöbeln. Ich würde mir gerne ein kleines Moped kaufen, um auf winzigen, sauberen Landstrassen damit zu fahren.
Gleich wird mich die Fremdenpolizei abholen und wegfahren, vielleicht zurück nach Deutschland, vielleicht wollen sie aber nur einen Kaffee mit mir trinken. Und wenn jemand mir eine Wohnung in der Altstadt hat, so eine mit einem kleinen Balkon, dann sagt es mir. Ich würde jeden Morgen auf dem Balkon stehen und ein Lied singen, das ich nur für ihn, den lieben Vermieter, geschrieben hätte. Ich sänge es und würde vermutlich wahnsinnig werden vor Glück, in der Altstadt zu sein, in der niedlichsten Stadt der Welt, und vielleicht käme ich in die Irrenanstalt. Aber die wäre immerhin eine Schweizer Irrenanstalt, und damit wäre ja auch wieder alles in der Ordnung.


Unsere Gastschreiberin
Sibylle Berg (1962) ist in Weimar (DDR) aufgewachsen. Nach dem Abitur arbeitete sie als Puppenspielerin. 1984 Flucht in den Westen: sie wollte unbedingt in die Schweiz. Im Tessin besuchte sie die Dimitri-Schule, bis Ende der Probezeit, verbrachte einige Jahre in (West-) Deutschland.
Seit über zehn Jahren verdient sie ihren Lebensunterhalt als freiberufliche Autorin. Sie hat mehrere Romane und Theaterstücke geschrieben, machte diverse CDs und ein Hörspiel. Daneben ist sie Chefredaktorin des Literatur- und Fotomagazins KULT (www.kultmagazin.ch).
In Zürich wohnt sie seit acht Jahren. Sie steht kurz vor der Heirat und möchte gerne in die Altstadt zurückziehen, wo sie schon einmal drei Jahre gelebt hat.