Von der Haut zur Tasche

Beim Werkstattbesuch bei Roger Handermann, bei «Leather and More», trug eine liebe Bekannte schon stolz eine Handermann-Tasche am Arm und eine weitere Besucherin hatte die Lieblingstasche für eine Flickarbeit dabei.

Das Höfchen vor der Stüssihofstatt 7 hat einfach einen schönen Charme. Es ist ein bezauberndes Plätzchen, ganz unprätentiös und einfach stilvoll mit diversen Läden und Ateliers. Eine alte, steinerne Wendeltreppe führt in den ersten Stock und dort in den Verkaufsraum von «Leather and More». Es riecht gut – nach Leder! Auf verschiedenen Ablageflächen präsentiert der Taschenmacher seine Werke, nicht zu viele, eine gute Auswahl von verschiedenen Modellen. Nur durch Balken getrennt ist die Werkstatt des Künstlers. Da finden wir, eine interessierte Gruppe von fünfzehn Personen, uns ein. Die Langriemen am Boden stöhnen ob dem Gewicht von uns allen, aber dieses Geräusch kennen alle, die in einem alten Haus leben. Ein persönliches Atelier mit einer grossen Arbeitsfläche in der Mitte. Gestelle voller Leder, Schnittmuster, die an Kleiderbügeln hängen, Nähmaschine, Bügelbrett, Computer, ein Kleiderständer, bedeckt von einer wunderschönen Patchwork-Decke aus Schaffell. Einen guten Arbeitsraum hat sich Roger Handermann eingerichtet.

Haus mit Geschichte
Nach der Begrüssung erzählt er über die Geschichte des Hauses «zur hinteren Silberschmitte»: 1357 wird es erstmals in den Steuerbüchern erwähnt. 1272 schenkte der Silberschmied Heinrich Terrer das Haus mit Hofstatt dem Dominikanerinnenkloster am Oetenbach, behielt aber zusammen mit seinem Neffen lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht. Das Kloster lieh es anfangs des 15. Jahrhunderts der Schuhmacherzunft, die das Haus 1493 ausbaute und aufstockte und 1596 eine Zunftstube einbaute. 1612 erschloss die heutige Wendeltreppe das Haus.
Zwischen 1823 und 1854 war das unter anderem von Gottfried Keller besuchte Landknabeninstitut einquartiert und später durften bis 1870 auch die Landtöchter hier lernen – immerhin!

Passion für Leder
Seit 1993 ist Roger Handermann hier in seinem Atelier. Er absolvierte seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule St. Gallen, eine Schneiderlehre und die Modefachschule als Schnitttechniker. Er entdeckte seine Passion für Leder und war während der Achtziger-Unruhen von der Bewegung gefragt als Flicker von Lederhosen. Noch immer flickt er Lederkleider, fertigt auch Masskleidung für Frau und Mann an. Heute ist er auf Taschen spezialisiert. Er hat das zwar nicht gelernt, ist aber gewiss, dass er, nachdem er über hundert Taschen auseinander genommen hat, dieses Metier total beherrscht. Das zeigt sich auch in der Ausführung seiner Taschen. Da spürt und sieht man das Handwerk so extrem in der schönen Ausführung, im Innenleben der Taschen – abgesehen vom spannenden Design. Er denkt sich eine Form aus und lässt die Idee wachsen. Anschliessend gestaltet er aus Papier einen Prototyp und wenn das Resultat gelungen ist, beginnt er mit dem Zuschneiden. Er ist aber auch bereit, eine Tasche in einer anderen Farbe anzufertigen oder die Länge der Trageriemen zu ändern.

Von der Haut zum Leder
Leder ist ein uralter Werkstoff. Der älteste Fund, eine Sandale aus Armenien, datiert von 3500 vor Christus. Später finden sich Behälter, Geschirr für Pferde und Rindvieh, und, das weiss jedes Kind nach der Lektüre von Asterix und Obelix: die Uniformen der Römer. Die Römer haben die Herstellung von Leder richtiggehend industrialisiert. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches ging das Wissen der Verarbeitung verloren und erst im 16. Jahrhundert wurde dieser Wissensstand wieder erreicht. Für die Herstellung von Leder ist das grösste Problem, die rohe Tierhaut haltbar zu machen. Dieser Prozess ist die Gerbung, die sich vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert nicht gross verändert hat. Dabei entsteht eine ca. ein Zentimeter dicke Haut, die in drei Schichten gespalten wird und erst jetzt spricht man von Leder. Das Narbenleder, das ist die beste Qualität, dann folgt die Lederhaut als zweite Qualität und die Fleischseite, als Velour oder Wildleder bekannt. Der Gerbprozess ist ein übel riechendes Geschäft. Wer einmal die Gelegenheit hatte, eine traditionelle Gerberei zu besuchen, wird sich an den scharfen, bissigen und stinkenden Geruch erinnern. «Etwas Gutes hatte aber auch das», lacht Roger Handermann, «Gerber wurden früher kaum von der Pest heimgesucht, da sich nicht einmal Ratten in diese Betriebe trauten.» In den Industrieländern wird dieser Prozess heute, dank der Mineralgerbung und dem Einsatz von rotierenden Gerbfässern, von früher achtzehn bis dreissig Monaten auf vier bis fünf Wochen verkürzt.
Während Roger Handermann diese spannenden Geschichten erzählt, legt er verschiedene Lederqualitäten auf seinen Arbeitstisch, die wir befühlen. Glatte, feine Leder, gestanzte, die an St. Galler Spitzen erinnern, Leder mit diversen Prägungen und verschiedene Qualitäten. Heute gibt es Leder in allen Farben. Früher waren die Leder mit der pflanzlichen Färbung meist nur in Braun- oder Grüntönungen erhältlich. Wieder lacht der Lederfreak, nur Könige und die Kirche konnten sich die Färbung mit der Purpurschnecke leisten!
Heute sorgen die strengen europäischen Gewässerschutz-Auflagen und die weltweit verschiedenen Arbeitsbedingungen für ein breites Preisniveau des Leders. Roger Handermann bezieht Leder aus Italien, Deutschland und auch aus Spanien. Dies kann zur Folge haben, dass er den gleichen Preis für Material aus einer vernünftigen Produktion bezahlt wie eine Lederjacke aus einem «Billigland» von der Stange zu haben ist. Und weil er dieses schöne und edle Material so liebt, fordert er uns auf, beim Einkauf an die Qualität zu denken und, ganz wichtig, gute Stücke nicht wegzuwerfen, wenn etwas kaputt ist, sondern zum Flicken zu bringen.

Christine Schmuki


«Leather and More», Roger Handermann,
Stüssihofstatt 7, 8001 Zürich, Tel. 044 261 25 10,
contact@handermann.org.