«Stadtkrone»?

Betrachtungen von Andri Gartmann zum neuen ETH-Gebäude «Lee».

Viel wurde in letzter Zeit über die Stadtkrone von Zürich geschrieben. Gemeint war damit mehrheitlich die Ergänzung der Stadtkronen ETH-Hauptgebäude und Universitätsgebäude durch einen neuen Masterplan für das Hochschulgebiet oder das neue ETH-Gebäude «Lee» an der Leonhardstrasse.

Wohlwissend, dass heute, um Grossprojekte zu verkaufen, schon bevor der erste Strich gezeichnet ist, eine Marketingstrategie vonnöten ist, scheint es mir doch gerade in Zürich ein bisschen befremdlich, überhaupt von einer Stadtkrone zu sprechen. Die Stadtkrone, als Begriff von Bruno Taut geprägt, geht vielmehr in Richtung eines klaren, kristallinen Objektes im Zentrum einer Stadt, welche dann sinngemäss an das kollektive Gut ermahnen soll oder sogar die Rückkehr in eine bäuerliche Gesellschaft propagiert. Ob das die Vision der ETH und Universität für Zürich ist, sei mal dahingestellt.
Trotzdem bereichert seit Kurzem das neue ETH-Gebäude «Lee» die Stadtsilhouette. Selbstbewusst zeigt sich der von Fawad Kazi entworfene Turm in fast identischer Proportion zum Mittelrisalit des ETH-Hauptgebäudes von Gottfried Semper. Gleichzeitig fügt er sich durch die geschickt an die Topographie und Nachbargebäude angepassten Seitenflügel wie natürlich ins bestehende Stadtbild ein. Dieses ausgewogene Spiel zwischen horizontalen und vertikalen Elementen scheint eine gute Strategie für diesen topographisch geprägten Stadtteil zu sein.
Leider geht dem Gebäude die Sensibilität und Natürlichkeit in der Detaillierung ein bisschen verloren. Die streng durchgerasterte Fassade aus vorgefertigten Betonelementen wirkt trotz oder wegen dem zusätzlichen Fensterraster eher klobig und bieder. Auch der Einsatz des Serpentinsteins im Bereich des Erdgeschosses ist nicht gerade leicht nachzuvollziehen und zeigt sich so trotz seiner unbestrittenen Schönheit als Fremdkörper in der Gesamtkomposition.
Dennoch ist es vor allem städtebaulich ein gelungener Auftakt in die weitere Verdichtung des Hochschulgebietes, welche auch für die weitere Planung einen selbstbewussten, aber dennoch feinfühligen Umgang mit dem Bestand und der Beschaffenheit des Ortes erwünscht, auch ohne den Anspruch einer Stadtkrone.

Andri Gartmann