Die Königin der Profiteroles

Beim Fraumünster kocht seit ein paar Monaten Françoise Wicki mit einer Equipe aus lauter Frauen – im «Münsterhof». Das Lokal ist zweistöckig, Küche, Keller und Bedienung sind erstklassig.

Vor dem «Münsterhöfli» spielen drei Kinder fröhlich Versteckis, es ist punkt halb acht, und meine heiss geliebte Nichte Michèle Frey ist eben eingetroffen. Es ist ein milder Abend, und man weiss, der Frühling ist da: Zürich fährt die Bagger auf und verbaut am Platz 8 Millionen. Dann gibts Steine für die Menschen. Einen Brunnen. Zwei, drei Bänkli für die Touristen.
Doch erst sind die Archäologen dran, dies ist schliesslich einer der wich­tigsten Orte Zürichs. Hier siedelten die Römer, zogen Steinmetze im Jahr 853 für die Nonnen das Fraumünster hoch, schlugen sich Rapperswiler und Zürcher die Köpfe ein, wurden Schweine und Korn gehandelt, war ein Friedhof, sprachen Churchill und der Dalai Lama und stehen vorläufig noch so sündhaft teure schöne Autos, dass mir vor Begeisterung der Blutdruck hochschiesst.

Auftritt: Fränzi Wicki
«15 Jahre sind es her», empfängt uns die Küchenchefin mit einem breiten Lachen, sie weibelt durchs Lokal wie eine Italienerin über die Piazza. Ja, 15 Jahre, seit wir uns im «Ammann» kennengelernt haben, dem inzwischen abgerissenen Hotel meiner Eltern.
Fränzi war zum ersten Mal Chef de ­Cuisine und knapp zwei Monate am Herd gestanden, als Anton Mosimann öffentlich sagte, das einzige, was ihm in Davos Spass gemacht habe, sei die Küche von Françoise Wicki gewesen. Das Lob war quasi der Urknall. Die ­junge Köchin, knapp 30, wurde 2001 «Entdeckung des Jahres» des Gastroführers Gault-Millau. Im Lokal hingen farbige Wolldecken als Vorhänge, weil uns das Geld fehlte, und im Keller ­lagerte zeitweilig eine frisch geschossene Wildsau, die wir Edna nannten. Anna Sommer hatte die Karten gestaltet, und auf die Servietten hatte ich aussterbende Davoser Wörter wie «Pfiifolter» (Schmetterling) sticken lassen. Michèle half mir damals im Service, und ich begrüsste die Gäste, als einer der Stammgäste sagte: «I verreck, das isch ja dä König vo Schwede!» Ich hatte ihn mit Königin Silvia nicht erkannt. Inzwischen ist Michèle Personalchefin einer Firma, in der 100 Leute eine App entwickeln, die Bankgeschäfte vereinfachen soll.

«Alti Söcke» und junge Köchinnen
«Der Champagner geht aufs Haus», sagt Fränzi. Michèle und ich sitzen im unteren Stock mit seinen 26 Plätzen unter ein paar «Hödlerli» (Zeichnungen von Ferdinand Hodler). Im oberen mit seinem erotischen Gemälde feiern junge Leute ein Geburtstagsfest. Fränzi serviert uns zwei Vorspeisen. «Alti Söcke», lacht Michèle beim Anblick des Artischockenbodens mit einer Jakobsmuschel, «wunderbar», während ich mich über die Entenleberterrine mit Brioche und Zwiebelconfit (Fr. 28.– bzw. Fr. 24.–) hermache.
Dann gibts das «Grosse Pièce», ein Entrecôte double (Fr. 46.–), und den kräftigen Châteauneuf-du-Pâpe (Fr. 11.50 pro Dezi), den der Geschäftsführer Jan Imbaumgarten für uns ausgesucht hat. Ah, noch ein Wort zur Karte: Sie ist kurz und historisch träf wie der Hans-Waldmann-Burger (Fr. 36.50), ­eine Würdigung des tapferen Kriegsherrn, dem die Zürcher den Kopf abschlugen. Oder die drei stadtheiligen Münsterhof-Tatars «Felix» (Rind), ­«Regula» (Lachs) und «Exuperantius» (Gemüse). Und die Preise sind angemessen. – Im Münsterhof heissen die Desserts «kleine» und «grosse Sauerei». Fränzi verschwindet zu ihren drei Köchinnen und dem Kasserolier und trägt die besten Profiteroles auf, die die Welt je gegessen hat. «Desserts», sagt sie, «sind sowieso besser als ­Salat.» Wo sie recht hat, hat sie recht. Salat ist überbewertet. Worauf wir uns umarmen und finden, das Leben sei immer wieder überraschend. Und immer wieder überraschend schön.

René Ammann*

*René Ammann isst und trinkt jeweils mit einem Gast, weil es geselliger ist. Diesmal mit Michèle Frey.


Restaurant «Münsterhof», Münsterhof 6, 8001 Zürich, Tel. 044 262 33 00. Offen Montag bis Donnerstag von 11.30 bis 23.30 Uhr, Freitag und Samstag bis 0.30 Uhr. Sonntag ganzer Tag geschlossen. www.mhof.ch.