Es war einmal…

20 Jahre Altstadt Kurier: unser Kulinarier hält Rückschau und beschreibt die Veränderungen in der Gastrolandschaft.

Von Peter Keck

Gemeinhin nimmt man es mehr oder weniger gelassen, wenn ein Restaurant schliesst. Wenn man da seinen Tisch hatte, sein Glas trank oder sogar ein Stammtisch bereitstand, geht es einem näher und wenn kein Ersatz da ist, sogar sehr nah. Und doch, wie schon Schopenhauer sagte, der Wandel ist das einzige Beständige. Nun gibt es verschiedenen Wandel, zum Guten oder zum Schlechten. Es bleibt dem Leser der nachfolgenden Zeilen überlassen, ein Urteil zu fällen.

Über zweihundert Restaurants wurden in den letzten zwanzig Jahren für den Altstadt Kurier besucht und beschrieben. Am Anfang unter Mitwirkung von Heidi Albonico erschienen Rezepte und andere kulinarische Geschichten auf der letzten Seite, doch im Februar dieses Jahres war die Zahl der Restaurants mit zweihundert erreicht. Doch diese Geschichte beginnt vorher und endet nachher. Denn sie erzählt von verschwundenen, vermissten, unter- und eingegangenen Lokalen und kulinarischen Läden seit Menschengedenken. Wo bekannt, ist das weitere Schicksal dieser Stätten beschrieben.

Links der Limmat
«Mary’s Old Timer Bar»! Wer erinnert sich noch an die Bar am Glockenplatz, der Anlaufstelle für sämtliche GIs, die nach dem Weltkrieg in Zürich Station machten? Trotz der Kleinheit, die Barmaid musste unter der Theke durchkriechen, wohl die international bekannteste Bar von Zürich. Nachher verwaist, dann Hüte, heute Schmuck und Uhrenbörse. Der «Gelbe Leuen» in unmittelbarer Nachbarschaft, heute Pegasus mit Hauptgewicht Steiff Knopf im Ohr. Dann das «Oetenbächli», legendärer Einkehrort für sämtliche Bewohner dieser Erde. Direktoren sassen neben den ewig trinkfreudigen Originalen aus dem Quartier. Seine Schliessung war ein eindeutiger Verlust. Danach stand das Lokal leer, dann kamen Antiquitäten und heute werden im Nail Studio Fingernägel gepflegt.
Dann gab es am Rennweg ein «Rennwegstübli», heute Winiker, die «Colani Bar» an der Schwanengasse, Treffpunkt des Bündnervereins, heute Inneneinrichtungsgeschäft, den international berühmten «Red Ox» an der Storchengasse, wo Jacky Wolf mit viel Kreativität und Humor Gäste aus aller Welt empfing. Speziell seine Fasnachtsanlässe sind unvergesslich, wobei der Schreiber dies von seinem Vater weiss. Er weiss jedoch auch, was die Mutter manchmal sagte, wenn der Vater heimkam. Jacky Wolf übernahm später die legendäre «Romatica» in Melide, aber seine charmante Gattin zügelte nach seinem Tod wieder nach Zürich und wohnt heute noch an der Storchengasse. Das Restaurant jedoch wurde lange Jahre zum LVZ (Lebensmittelverein Zürich) und beherbergt heute Kleider von Armani. Auch das Café «Rathaus» an der Wühre wurde zum Kleiderladen. Das Hotel Restaurant «St. Peter» wurde vom damaligen Bankverein übernommen und zum Direktionsrestaurant umgestaltet und war samt dem schönen Innenhof mit dem alten Baum für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Hier kann man von der berühmten Ausnahme von der Regel sprechen, denn die ehemalige Gaststätte hat sich für das verehrte Publikum wieder geöffnet, wenn auch mit zeitlichen Einschränkungen.

Gehen wir zur und über die Bahnhofstrasse. Das «Huguenin» mit der wunderschönen Züristube wurde beim Umbau der Bankgesellschaft-Anlage zum Schuhgeschäft Magli, beim «Carlton Elite» verschwand das Hotel und somit das Elite. Weiter seewärts an der Talstrasse gab es das Café «Vendôme», das Eldorado für Schachspieler, dann Mode, heute wieder kleine Bar. Richtung Bahnhof gab es das Café «Pelikan», heute Motorräder und weiter an der Seidengasse das Café «Fröschegrabe», heute Eduscho. Hier wäre noch das Hotel St. Gotthard zu erwähnen, das sich Mühe gibt, doch noch ein paar Stühle und Tische auf die Strasse zu stellen. Und – es war einmal – ein «Planet Hollywood», mit Sperrung der Bahnhofstrasse und stadträtlicher Begleitung eröffnet, jetzt auf einem andern Planeten und wie schon einmal, wieder Mode.

Über die Läden auf der linken Seite der Limmat könnte man viel schreiben, einst gab es den Traiteur Seiler an der Uraniastrasse, nach «Caviar House» und Russo heute Tapas-Bar, gab es einen Chäs Hebise am Rennweg, heute nach Schmuck und Mode ein Geschäft für Schwangere, gab es Séquin-Dormann an der Bahnhofstrasse im Haus zur Trülle mit einer lückenlosen Haushaltabteilung, bald Mode Esprit, gab es «Kitch’n Cook» am Werdmühlplatz und natürlich viel früher Corrieri an der Bahnhofstrasse mit den schönsten Südfrüchten, Bonetti mit den besten Rollmöpsen an der Storchengasse, von Varlin gemalt, natürlich Bonetti und sein Laden, nicht die Rollmöpse, obwohl Varlin sicherlich auch diese mochte. Nebenan Comestibles Widmer und Trümpy, später Rutschmann und heute Oscar Rom. Nicht zu vergessen den Traiteur Storchen, heute wieder Bar, und womit wir auf die andere Seite der Limmat kommen, auch viel früher Comestibles Vaterlaus am Limmatquai neben der Museumsgesellschaft.

Rechts der Limmat
Ja, und was empfängt uns links an der Marktgasse? Ein leeres Loch! Da war einst ein Tempel mit kulinarischen Köstlichkeiten, mit frischen Fischen und Krustentieren aus aller Welt, Wild und Geflügel gaben sich ein Stelldichein und die Saucen und Pasteten sonder Zahl liessen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Oh Bianchi, wohin bist du entschwunden? Über sechs Jahre gähnen die leeren Schaufenster in die Marktgasse. Unschön und unerklärlich. Weiter oben rechts wurde die Metzgerei Geiser zum Samen Mauser.

Zurück zu den Gaststätten. Fangen wir beim Bellevue an. Einstmals gab es den «Grünen Heinrich» mit Malereien von Alois Carigiet nach Motiven aus dem gleichnamigen Buch von Gottfried Keller, heute Radiogeschäft oder wie man dem heute sagt. An der Rämistrasse war lange Jahre das Café «Pavillon», dessen Wirt die damaligen Chaoten mit Wasser vertrieb und somit immer wieder in der Zeitung erschien, später Galerie Koller, heute Mode. Weiter oben das «Maröggli», das Café «Maroc», ein absolutes «Must» für Studenten und Kantonsschüler, heute Galerie, gleiches vom Café «Turc» an der Kirchgasse, heute Ladengeschäft. Dann oben am Hirschengraben gegen den Pfauen, das Café «Ost», das «Östli», ebenfalls frequentiert von der Intelligenzia, allerdings meistens von denjenigen mit einem Abschluss.

Dann gab es am Hechtplatz einmal eine «Wirtschaft zum Eckstein», wo heute Haare gelassen werden, ein Café «Salomon» an der oberen Münstergasse, wo sich nun Antiquitäten eingenistet haben. Bei den Läden mutierte die Bäckerei Eichenberger (und noch früher Karli) am Neumarkt zum Schmuckgeschäft.
Wir werden trotzdem nicht verhungern. Neue Gaststätten sind dazugekommen, andere haben nur den Namen gewechselt, so zum Beispiel das «Troika», das «Turicum», «Troika», «da Luigi» hiess und heute «Casa mia» heisst, oder der «Augustiner», welcher zur «Cantinetta Antinori» wurde. Und auch die Wirte bleiben nicht ewig. Bei Wechseln wird manchmal der Wirt besser oder die Qualität, manchmal beides. Das ist dann ein Glücksfall.

Trotzdem hat diese Aufzählung etwas Wehmütiges. Denn irgendwie verschwindet immer auch ein Stück Heimat im Sinne von Geborgenheit oder Kindheits- oder Jugenderinnerungen an den ersten Sirup bei «Chardon» oder das zweite Bier im «Östli» oder das letzte Rendez-vous im «Maroc». Was aber auch trotzdem bleibt, ist eine lebendige Altstadt mit vielen guten Restaurants und Wirtschaften, die wiederum nach Möglichkeit ihren Charme ausstrahlen, Hort sind für frohe Stunden und leere Mägen mit kulinarischen Köstlichkeiten füllen. So seien zum fröhlichen Abschluss noch ein paar Beispiele aus Menüanpreisungen erlaubt, die ebenfalls den düsteren Alltag etwas auflockern. So gab es irgendwo am Münsterhof «Hirfschilet», in der Nähe der Zentralbibliothek wurde beim Goldbarsch, das b vergessen und an der Stüssihofstatt gab es «Horückensteak», das isst man dann ho- ruck. Im Gegensatz dazu hat Hickel Elektro stets frische Birnen. Guten Appetit und das nächste Mal in zehn Jahren.