Den Beat im Blut

Unser Gastschreiber Heinz Hofer hat neben seinem Wunschberuf seinen Traum vom Musizieren stets ausleben können.

Bis zu meinem siebten Altersjahr wohnte ich an der Strehlgasse, gegenüber vom «Kindli», das damals von Joe Schmid geführt wurde. Die Geschwister Schmid traten auf, und als kleiner Zwirbel bin ich auf den Fens­tersims geklettert und habe zugeschaut, wie sie spielten. Als eines Abends Peter Hinnen sang und alle jubelten, dachte ich: Es wäre schön, auch einmal so berühmt zu sein.
Mein Spielplatz war der Lindenhof. Dort, so fand meine Mutter, die mich und meinen älteren Bruder allein grosszog, war man «versorgt». Aber auch auf der Terrasse des Franz Carl Weber, wo es eine Trülli und eine ­Gigampfi gab, spielten wir. Und natürlich auf der St.-Peter-Hofstatt.
Einmal sagte jemand, die Hofer-­Buebe seien daheim, da hat man uns extra herausgeklingelt. Kurt Früh drehte gerade den Film «Oberstadtgass», und ein paar Kinder, mein Bruder und ich mussten dem «Hüsli-Bueb» nachjagen. Da hiess es dann noch einmal und noch einmal dieselbe Szene drehen. Besonders gefallen hat mir das bei der Szene des Brautpaars, das aus der Kirche kommt und Feuersteine wirft, diese bunten Bonbons…
Nur ännet der Limmat, das war Tabu. Ännet der Limmat, da war es dunkel und gefährlich, denn: da waren die Bars. Ein einziges Mal war ich dann aber doch direkt vom Chindsgi mit Viktor über die Limmat zu seinen ­Eltern in eine Bar gegangen. Wir hockten uns auf die Barstühle, und ich blickte mit grossen Augen über den Rand meines Ovi-Glases hinweg. Husch, bevor es dunkel und gefährlich wurde, sind wir zurück nach Hause g’höselet, das Nachtleben dicht auf den Fersen.
Als ich siebeneinhalb war, zogen wir in den Kreis 7. Mein alter Schulhausplatz, der aus einem schmalen Spickel am Schanzengraben bestand, wurde zu einem Riesenpausenplatz vor dem Schulhaus Hofacker und einem riesen Riesenpausenplatz hinter dem Hof­acker, mitsamt Spielwiese. Den Wald und den See so nah, glaubte ich mich in eine heile Welt versetzt! Mit Holzmesserli spielten wir Tarzan zwischen den Bäumen, und im Sommer gings ab in den See. Nichts, gar nichts konnte schöner sein.

Beat is it
Aber dann kam es zu einem Schlüsselerlebnis der besonderen Art. Zu etwas, das mich mein ganzes weiteres Leben begleiten sollte. Thomas Heinemann, ein Schulkamerad, hatte von seinem Onkel Schlagzeugbäseli geschenkt bekommen. Er fand, ich sei doch so ein Gispel und reichte sie mir: «Dir hilft es mehr!» Zu Hause rannte ich zum Wohnzimmerstuhl, klappte das Kissen hoch, an dessen Bändel ich das Schuhebinden hatte üben müssen – wenn es gelang, tat meine Mutter jedes Mal ein selbst­gemachtes Nidelzältli aufs Kissen – und legte los. Die Sperrholzsitzfläche hallte, und die Querstreben der Rückenlehne gaben je einen anderen Klang. Ich hatte meine erste Rhythmusmaschine gefunden.
Täglich spielte das Radio deutsche Schlager und Swing, und ich schepperte den Lack von der Sperrholzplatte, tsss-ts-t-tsss, ganze Nachmittage lang.
Als ich mit acht mein erstes Bravo-Heft sah, las ich begeistert über Brigitte Bardot, über Elvis und über Peter Kraus. Die Poster und den Bravo-Starschnitt, das alles hatte Ueli, der Be­sitzer des Heftes, fein säuberlich ausgeschnitten, aber da blieb dennoch viel zu lesen über die deutsche Musikszene – ich frass mich durch jede Zeile.

Das Hoch der Musikschuppen
Und dann ging es los mit den Beatles. Mit lautem Schlagzeug, intensiver Energie, und da wusste ich: Musik ist meins. Eine Ära begann, die voller Musikschuppen war. An der Rämistrasse gab es das «Pony» oder das «Tabaris», oder es gab das «Maröggli», und plötzlich bildeten sich Cliquen, die sich trafen, um gemeinsam Live-Musik zu hören. Mein Bruder Charlie, der sich das Gitarrenspiel beibrachte, nahm mich mit. Und so hörte ich «The Lords» und «The Remo Four», eine englische Gruppe, die wir nicht mehr aus dem Kopf brachten. Deren verpoppte Jazz-Standards hatten es uns angetan. Als Mutter schliesslich verstand, dass das keine Flausen waren, schickte sie mich zu Eugen Giannini ins Musikhaus im Oberdorf. Einen Mittwochnachmittag lang durfte ich probieren und mir ein Instrument auswählen. Ich war 14 oder 15 Jahre alt. Nach stundenlangem Hin und Her zwischen dem Vibraphon und einem Slingerland-Schlagzeug kam Frau ­Giannini anmarschiert: «Fertig jetzt, entscheid dich!»

Die seriöse Amateurband
Von da ging es stets voran. Wir bil­deten Bands und jammten in Proberäumen zusammen mit heutigen Grössen wie Max Lässer, Sue Mathis und Christina Jaccard, nannten uns «Date of Birth», «The UP», «Murphy» und «The four Windows». Wir spielten nächtelang im «Blackout» in Kloten und in Discos und Dancings in und um Zürich und haben Platten und ­Singles aufgenommen.
Mit der Gitarrenband «The four Windows» haben wir einen solchen Erfolg, dass diese sich über alle Jahre ­gehalten hat. Noch heute spielen wir Titel wie «Apache» oder «Kontiki»; es ist eine Art Nostalgie, auf die sich jeder gerne einlässt. Eine Musik, die man sofort versteht.
Natürlich war das damals, nebst meiner Berufslehre zum Herrencoiffeur streng, aber wir haben jeweils beide ein Auge zugedrückt: ich vor Müdigkeit und mein Lehrmeister, weil er fand, ich mache meine Sache recht.
Heute, schon lange selbständig im Wunschberuf, geniesse ich es, nebenher engagiert Musik zu machen mit «The four Windows» oder neu auch mit der «Cordon Blues Band». Selber gehe ich gerne Steve Gadd hören oder Bernhard Purdie. Dann schaue ich ihnen auf die Finger und stibitze den einen oder anderen Trick, nehme ihn mit nach Hause und probiere ihn mit meinen Schlagzeugbäseli auf der Sperrholzplatte…

Heinz Hofer

Unser Gastschreiber
Heinz Hofer (1950) hat bis zur ersten Klasse an der Strehlgasse gewohnt und ist am Schanzengraben zur Schule gegangen. Danach ist seine Familie an den Kreuzplatz umgezogen. Er absolvierte am Rigiplatz eine vierjährige Lehre als Herren- und ­Damencoiffeur. Gleich anschliessend fand er 1970 eine Stelle als Coiffeur am Neumarkt 14. 1981 konnte er das Geschäft übernehmen, das er als «Haar-Schopf» bis heute betreibt.
Mit vierzehn Jahren begann er Schlagzeug zu spielen, heute ist er in zwei Formationen als Schlagzeuger, in den «seriösen Amateurbands» «4 Windows» und «Cordon Blues Band».
Er wohnt am Kreuzplatz. Sein Hobby ist Snowboarden in Aspen, Colorado.