Abschied vom Lindengarten

Die Medien haben es bereits im vergangenen Herbst vermeldet: Die Tage des Konzertraums unter dem Dach des Hauses zum Lindengarten sind gezählt. Doch klanglos soll dieser Abschied nicht sein.

Die derzeitige Bewohnerin des Stockwerks, Susanne Hess, hat hier seit ihrem Einzug als Mieterin der Stadt Zürich vor über dreissig Jahren Veranstaltungen aller Art, Kammerkonzerte, Liederabende, Lesungen durchgeführt und den Raum auch Drittpersonen für deren Auftritte zur Verfügung gestellt. Damit erfüllte sie eine Auflage der Stadt, die von den vormaligen Bewohnern begründete und während Jahrzehnten gepflegte Tradition öffentlicher Aufführungen in der grosszügigen Dachwohnung fortzusetzen.

Die Hiobsbotschaft
Dank den vielseitigen Beziehungen der Musikerin entwickelte sich fortan ein reges kulturelles Leben, das ein gemischtes kunstinteressiertes Publikum ansprach und weit über das Quartier hinaus strahlte. Und nun, im letzten Sommer der niederschmetternde Bescheid: Das 1725 erbaute Haus bedürfe einer grundlegenden Renovation und Sanierung der technischen Infrastruktur, die elektrischen und sanitären Anlagen müssten umfassend erneuert werden. Zudem leide die in den unteren Geschossen eingemietete Kulturstiftung Pro Helvetia unter akutem Platzmangel, weshalb vorgesehen sei, dieser nach erfolgtem Umbau auch den Dachstock für ihre Büros zu überlassen. Mit den Bauarbeiten wolle man im Spätherbst 2017 beginnen, und Susanne Hess müsse das Haus auf Ende Juni verlassen.

Wohin mit den Instrumenten?
Seither ist sie auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung; keine leichte Aufgabe, umso weniger als im Laufe der Jahre eine beachtliche Sammlung von sechs Tasteninstrumenten zusammengekommen ist, die einigen Platz beanspruchen: ein Cembalo, ein Hammerklavier, drei Flügel aus verschiedenen Zeitepochen und eine Toggenburger Hausorgel.
Unterdessen musste Susanne Hess einsehen, dass es kaum möglich sein wird, all diese Instrumente gemeinsam an einem Ort unterzubringen, weshalb sie hofft, wenigstens für einzelne einen guten Platz zu finden. Zwei davon möchte sie in die ihr von der Stadt als Ersatz angebotene Zweizimmerwohnung unbedingt mitnehmen, da sie diese Instrumente als Berufsmusikerin dringend benötigt. Eine Wohnung mit drei Zimmern, von der Susanne noch immer träumt, wäre dafür allerdings besser geeignet. Ganz aufgegeben hat sie den Gedanken, weiterhin Konzerte in der bisherigen Art zu veranstalten.

Grosses Finale
Dass es mit den Konzerten im Lindengarten ein sang- und klangloses Ende haben sollte, damit konnte sich der Tenor Julian Prégardien allerdings nicht abfinden, der selbst vor Jahren hier seine ersten Auftritte hatte. In einer grossartigen Freundesgeste organisierte er zunächst von September bis November des vergangenen Jahres fünf Liederabende, deren sinnreich zusammengestellte Programme er mit fünf verschiedenen Begleitern bestritt und in denen alle vorhandenen Instrumente zum Einsatz kamen. Und damit hat es nicht sein Bewenden: Am Dienstag, 31. Januar, wird Prégardien zusammen mit dem Pianisten Michael Gees und dem Musikwissenschaftler Martin Günther unter dem Titel «Winterreise – ein Liedzyklus und sein Lebenslauf» der Aufführungspraxis durch die Jahrhunderte rund um Franz Schuberts bekanntestem Liederzyklus nachspüren. Vom 12. bis 14. Mai sollen zudem Rezitals zum Thema «Liederfrühling» stattfinden, und weitere Künstlerinnen und Künstler haben zugesagt, ein letztes Mal im Lindengarten zu musizieren. Schliesslich plant Daniel Fueter die Durchführung eines mehrteiligen Zyklus mit Werken des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck zum Gedenken an dessen 60. Todestag.
Wenn auch der wunderbare Raum unterm Dach in Zukunft nicht mehr als Konzertlokal genutzt wird, so ist ihm in den letzten Monaten wenigstens ein glanzvoller Abschied bereitet. Traurig stimmt es schon, dass ausgerechnet eine der Kulturförderung verpflichtete Institution sich mit ihren Büros da breit machen wird, wo während Jahrzehnten hochkarätige Kultur gestaltet und unmittelbar erlebt werden konnte.

Matthias Senn

Informationen zu allen kommenden Veranstaltungen im Internet unter www.lindengarten.ch