Zum Lotti wotti

Am Werdmühleplatz 3, im Amtshaus V, ist ein neues Lokal eröffnet worden, das achtzig Jahre alt ist: 1937 war es das «Tea-Room Troika», später das «Turicum», die «Pizzeria Luigi» und ab 2004 die «Casa Mia». Nun heisst es «Lotti».

Erinnern Sie sich an die «Turnachkinder», den Zürcher Kinderbuchklassiker schlechthin? Zwei Bände sind es, das Sommerbuch und das Winterbuch, in denen das damals berühmteste Fräulein Lehrerin der Schweiz, Ida Bindschedler (1854-1919), die Erinnerungen an ihre Kindheit herzerwärmend vergoldete. Die Turnachkinder waren neben Johanna Spyris «Heidi» für Generationen der beliebteste Jugendroman überhaupt.
Lotti Turnach gilt als Selbstporträt der Autorin. Ihr früherer Lehrer, der spätere Literaturredaktor Josef Viktor Widmann, freute sich über ein Werk «von erzieherischem Wert, aus dem jedoch nirgends die erzieherische Physiognomie sich vordrängt. Gemütbildend und doch moralinfrei, vor allem frisch, lebendig, poetisch.» Das passt alles auch aufs «Lotti».

Zimmermann’s Hygea Bitter
Gastgeberin Anna Zimmermann (1989) klebt ihren Gästen keine goldgrünen Rosenkäferchen auf die Hüte – falls sie solche tragen, muss auch nicht mehr schwimmen lernen und fängt nicht grund- und haltlos an zu lachen wie der Wildfang Lotti. Mit von der Partie im jungen Betrieb sind Martin Arnold, der zusammen mit Annas Vater René Zimmermann seit neun Jahren das Ristorante «Certo» am Werdplatz führt, und Ralf Weber, der seit 2011 in der «Wirtschaft Neumarkt» kochte. Der Gastro-Doyen Zimmermann («Rössli» in Stäfa, «Strauss» in Winterthur, «Alpenrose» und «Wirtschaft Neumarkt» in Zürich) leistete als Berater beim Umbau und beim Konzept tatkräftige, unschätzbare Schützenhilfe. Sie beschränkt sich nicht auf das witzige Email-Reklameschild für Zimmermann’s Hygea Bitter, den man an der neuen Bar auch verkosten kann (Fr. 9.–, 4 cl). Interessant.

Zürifläde – Zürcher Pizze
Aber wir wollen ja essen! Draussen oder drinnen ist an diesem heissen Spätsommerabend keine Frage. Wir sitzen mit Blick auf den Werdmühleplatz mit seinen hoffentlich denkmalgeschützten Platanen, ohne Sonnenschirme und Sonnensegel. Die Bahnhofstrasse ist geographisch zwar gleich um die Ecke, aber stimmungsmässig weit weg. Das «Lotti» versteht sich bewusst als eine unprätentiöse, kreative Alternative. Die hölzerne Troika-Decke von Wladimir Kölliker 1954 im Innenraum wurde übrigens vom Denkmalschutz «archiviert». Und die Wandmalerei von Alois Carigiet, drei Frauen und zwei fliegende Gänse, bleibt weiterhin verborgen, jetzt hinter einem zeitgenössischen Bild von Uwe Wittwer. – Der Züriflade ist eine Art Pizza, einfach nicht rund, sondern oval. Er ist mit Tomatensauce und Mozzarella (Fr. 11.–) oder Tessiner Pancetta belegt (Fr. 16.–), mit Sauerrahm, geräuchertem Bauchspeck und roten Zwiebeln (Fr. 13.–) oder mit Sauerrahm, Sockey Wildlachs (von Sämi Weidmann geräuchert) und Felchen-Kaviar (Fr. 19.–) usw. Flanierenden Passanten, die sich im Vorbeigehen beiläufig erkundigen, ob es hier Pizza gebe, müsste man klarmachen, dass ja! Doch ich wollte der geräucherten Bachser Bio-Forelle nicht widerstehen, auf Gerste, Apfel und Meerrettich (Fr. 18.–) und goutierte später auch noch den in Pfadi- oder Schulreisemanier eingeschnittenen Cervelat mit Kartoffel-Gurken-Salat (Fr. 17.–). Meinem Mitesser und Gesprächspartner schmeckten die Hacktätschli mit Haussenf und Brot (Fr. 17.–) ausgezeichnet. Das geröstete Markbein mit Maldon Sea Salt Flakes (Fr. 14.–) gibt es das nächste Mal. Allabendlich werden übrigens auch Fleisch und Fisch vom Holzkohle-Grill serviert (bis Fr. 40.–). Und am Sonntag ist ganztägig Brunch-Tag!
Ein Wort noch zum Wein: Im «Lotti» werden acht ausgesuchte Offenweine angeboten. In der Vitrine findet man aber auch Raritäten, zum Beispiel einen Gantenbein für 130 Franken.
S hät solangs hät!

Esther Scheidegger


Restaurant «Lotti», Werdmühleplatz 3, 8001 Zürich, Tel. 043 399 01 01, www. lotti-lokal.ch.
Montag bis Freitag 8 bis 23, Samstag 9 bis 23, Sonntag 10 bis 18 Uhr (Brunch).