Ich und das Quartier

Im Alter von einem Jahr ist der Gastschreiber dieser Nummer mit seiner Familie in die Altstadt gezogen. Er kennt das Quartier also wie seine Hosentasche.

Vor ziemlich genau neunzehn Jahren bin ich in die Altstadt gekommen, besser gesagt, wurde ich in die Altstadt getragen. Denn mit einem Lebensjahr konnte ich die Wohnungswahl meiner Familie noch nicht wirklich mitbestimmen. Wir zogen in eine Stadtwohnung am Rindermarkt, wo ich auch heute noch zu Hause bin. Ich durfte also meine ganze Kindheit und Jugend in der Altstadt verbringen. Und auch jetzt als Student an der Pädagogischen Hochschule vom Seminar Unterstrass kann ich mir keinen besseren Wohnort vorstellen. Einige denken jetzt vielleicht, wie
will der wissen, ob es für ihn nichts Besseres gibt, wenn er noch nie woanders gewohnt hat, doch ich nehme an, viele langjährige Altstadtbewohner werden das sehr wohl verstehen.
Mit jedem Jahr länger, das man im Quartier wohnt, wächst einem dieser Wohnort ans Herz. Man kennt die Gassen auswendig, all die schönen Plätze sind wie ein zweites Wohnzimmer, man erkennt die Brunnen nur schon am Geplätscher und kennt sich, wenn man durchs Quartier spaziert. Stolz erklärte ich meinen Schulkameraden von ausserhalb immer wieder: «Bi ois im Quartier seit mer sich im Fall du», und genoss es, wenn sie neidisch zu Boden blickten. Spätestens jetzt sollte doch klar sein, wieso ich mir nichts Besseres vorstellen kann.
Es gibt so viele schöne Plätze in der Altstadt, darum wollte ich unbedingt einen davon in meinem Text würdigen, und den engsten Bezug habe ich zum Leuenplätzli.

Eine Ode ans Leuenplätzli
Von unserem Balkon aus lässt sich das Leuenplätzli wunderbar beobachten, und unser Hinterausgang bietet direkten Zugang dazu. Und so kam es wohl, dass es so etwas wie unser Garten wurde und mein persönliches Spielzimmer. Wann auch immer ich Zeit fand, zog es mich nach draussen. Wie viele Stunden meines Lebens verbrachte ich wohl Fussball spielend auf dem Leuenplätzli oder diente dieses als Hauptquartier unserer Spielgemeinschaft? Man konnte sich fast jederzeit sicher sein, einen Kameraden anzutreffen, und alle bekamen die Möglichkeit, irgendwie mitzumachen. Gross oder klein, alt oder jung, das spielte keine Rolle, alle hatten Platz und waren willkommen.
Je älter ich wurde, je seltener wurden meine Aufenthalte und Spielstunden auf dem Leuenplätzli, doch war ich dafür umso glücklicher zu sehen, dass die nächsten Generationen es Schritt für Schritt eingenommen haben. In letzter Zeit gab es zwar immer wieder AnwohnerInnen, die sich am Lärm störten, doch bin ich froh, dass es trotz allem das geblieben ist, wie ich es schon vor Jahren kennen gelernt habe: ein Treffpunkt. Darum freue ich mich jetzt schon wieder auf den Sommer, wenn die Bälle gegen das Garagentor hämmern, die Kinder vor Freude über das Leuenplätzli schreien und sich wieder ein reger Betrieb einstellt, solange es zu normalen Zeiten passiert. Denn es gibt nichts Besseres und Schöneres für ein Quartier, als ein solch wertvoller Platz. Ein Ort, wo Kinder unbeschwert aufwachsen können und die Erwachsenen sich austauschen können.
Wo sind die jungen Leute in unserem Quartier, habe ich mich, und wahrscheinlich auch viele andere, schon mehrmals gefragt. Doch ich kann ein Stück weit beruhigen, es gibt sie und auch sie kümmern sich ums Quartier. Das geschieht vielleicht oftmals unbemerkt und eventuell auch unbewusst, doch es tut sich was und es wird sich immer etwas tun. Die Generationen werden sich ablösen, wie sie das schon immer getan haben und das Quartier wird weiter funktionieren, wie es schon immer funktioniert hat.

Engagierte Jugend?!
Zwei Beispiele, wo sich die Jugend zeigt, will ich hier aber trotzdem schnell ausleuchten.
Erstens: Der Jugendtreff des Grossmünsters. Ein Ort, wo sich die Jugend treffen kann, sich austauschen und Spass haben kann. Nach der Konfirmation wurde ich in diesen Treff eingeführt. Viele hören davon vielleicht zum ersten Mal, doch es gibt ihn schon lange. Ich selber bin etwa seit fünf Jahren aktiv mit dabei. Es war der Ort, wo ich die Chance hatte, mit anderen Jugendlichen aus dem Quartier wieder vermehrt Kontakt zu haben. Man hat sich im Verlauf der letzten Schuljahre aus den Augen verloren, da alle ihren eigenen Weg eingeschlagen haben, und plötzlich gab es wieder einen Ort im Quartier, wo man sich treffen konnte. Natürlich gab es auch im Jugendtreff viele Höhen und Tiefen, doch bin ich überzeugt, dass die Bekanntheit von diesem Ort zugenommen hat. Und ich hoffe, dass dieser Treff noch lange existieren kann.
Zweitens: Der Quartierverein rechts der Limmat. Ich und ein paar andere Jugendliche aus dem Quartier wurden vom Vorstand eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen (ohne Stimmrecht!). Diese Möglichkeit, am Geschehen im Quartier teilzunehmen, nehmen wir im Turnus war.
Ich denke, das ist eine einmalige Gelegenheit für uns, aber auch für das Quartier, die Jugendlichen vermehrt ins Geschehen mit einzubeziehen. Daher möchte ich mich auch gleich hier nochmals bei Martin Brogli, dem Präsidenten des Quartiervereins, sowie allen anderen Mitgliedern des Vorstandes herzlich für diese Chance bedanken.

Ein Blick in die Zukunft
Wie es wirklich weitergeht, weiss niemand, doch spekulieren und hoffen darf man auf jeden Fall. Da ich mich in einem Alter befinde, wo es immer wieder Neuorientierungen und Umbrüche gibt und braucht, kann ich nicht sagen, wo ich in einem Jahr stehen werde. Ich hoffe, dass ich die Möglichkeit habe, der Altstadt noch lange treu zu bleiben. Ich finde es spannend zu sehen, wie sich die Generationen abwechseln und wie sich das Quartier verändert und entwickelt. Veränderungen gefallen nicht immer allen gleich. Manchmal stört es mich, wie immer wieder geklagt wird, über den Lärm, die Läden usw. Ich bin jedoch der Meinung, dass man sich auf neue Dinge einlassen soll. Es kann auch eine Chance sein! Natürlich soll man auch kämpfen und nicht immer alles mit sich geschehen lassen, doch sollte man auch lernen, den Lauf der Zeit zu akzeptieren. Der Umbruch ist allgegenwärtig, darum wäre es wünschenswert, eine Mischung zwischen Verbissenheit und Passivität zu finden. Denn alles hat seine positiven und schönen Seiten! Wie und auf was ihr meine letzten Worte bezieht beziehungsweise interpretiert, sei euch überlassen, doch macht es mit einem Lächeln.
Ich bin dankbar, dass ich in einem solch schönen Quartier leben kann und ich freue mich auf die nächsten zwanzig Jahre…

Nico Meienberg


Unser Gastschreiber
Nico Meienberg wurde am 12. Mai 1985 in Zürich geboren. Er ist in der Altstadt aufgewachsen, hat die Krippe an der Obmannamtsgasse besucht (heute Playstation), den Kindergarten am Neumarkt, dann die Tagesschule Bungertwies und zwei Jahre Sekundarschule am Hirschengraben. Danach absolvierte er die Kanti Stadelhofen. Nach der Matur hat er ein halbes Jahr gearbeitet, in einem Büro und als Dachdecker. Nach einem viermonatigen Aufenthalt in Kanada nahm er die Ausbildung zum Primarlehrer am Seminar Unterstrass auf.
Er ist begeisterter Fussballer und Velofahrer. Musik ist ihm wichtig, er ist Jazzfan, macht auch selber Musik, als Perkussionist (Mitglied des Drum-Corps der Stadtmusik Zürich). Seine Freizeit verbringt er gerne mit anderen Jugendlichen im Jugendtreff. Er wohnt seit 19 Jahren am Rindermarkt.