Unabhängigkeit

Ein Beitrag zum Jubiläumsjahres von Georges Müller, erster Redaktor des Altstadt Kuriers von 1984 bis 1987.

Den Zeitungen in der Schweiz, den Printmedien überhaupt, geht es schlecht. Landauf, landab jammern die Verleger über sinkende Inseratenerträge, sparen, wo es geht, und rennen jedem Franken hinterher. Dabei kommt es oft vor, dass die Verleger von ihren Redaktionen Gefälligkeitstexte über Inserenten verlangen, in der Hoffnung, auf diese Weise zu den erhofften Einnahmen zu kommen. Statt dass die Inserenten sinnbildlich gesprochen das Papier liefern, auf das die Redaktion ihre Artikel schreibt, haben die geschundenen Schreibknechte das redaktionelle Umfeld zu schaffen, in dem die Inserate ihre maximale Werbewirkung entfalten sollen.
Diese Erscheinung ist nicht neu (im Moment allerdings extrem verstärkt), und hatte auch die verlegerische Grosswetterlage vor zwanzig Jahren bestimmt, als die beiden Quartiervereine des Kreises 1 den «Altstadt Kurier» gründeten. Damals gab es die «Zürcher Altstadt», ein wöchentlich erscheinendes Blatt, auf das das eingangs beschriebene Verhalten geradezu exemplarisch zutraf. Über Geschäftseröffnungen aller Art berichtete der geplagte Redaktor auf breitem Raum, für echte Quartier-Probleme hatte er weder Zeit noch Platz.

Es brauchte viel Weitblick und etliches Standvermögen aller Beteiligten, gleich von Anfang an klar zu machen, dass der Altstadt Kurier kein derartiges Blättchen werden wollte. Trotz unterschiedlicher beruflicher Herkunft war Peter Keck (Präsident Rennweg-Quartier-Verein), Annemarie Korn (Präsidentin QV Zürich 1 rechts der Limmat), Benedikt Loderer und mir als erstem Redaktor klar, dass nur eine gegen allfällige Inserenten-Druckversuche widerstandsfähige Zeitung eine langfristige Überlebenschance hat. Nur eine solche Zeitung kann sich mit den echten Anliegen der Quartierbewohnerschaft befassen und notfalls auch unangenehme Wahrheiten auf den Tisch bringen.
Aus diesem Grund haben die beiden Quartiervereine das Startkapital zur Verfügung gestellt und lassen es weiterhin in der Bilanz des Altstadt Kuriers stehen. So beschwören sie ihr Engagement nicht nur wortreich an der Generalversammlung, sondern stellen es im manchmal harten Alltag auch unter Beweis.

Und der Altstadt Kurier ist zur Zeitung geworden, die man im Kreis 1 ganz einfach haben muss, wenn man wissen will, was los ist.
Es gibt Leute, die fest davon überzeugt sind, dass der Altstadt Kurier die beste stadtzürcherische Quartierzeitung ist, und ich wäre der letzte, ihnen zu widersprechen.

Dass ich bei diesem tollen Startteam dabei war und mithelfen durfte, diese Zeitung unter so seltenen Randbedingungen aufzubauen, die jetzt gewissermassen in die Volljährigkeit entlassen wird, erfüllt mich heute noch mit guten Gefühlen und Stolz. Und allen Verlegern, den kleinen, mittleren, grossen und gigantischen, empfehle ich einen Blick auf das Erfolgsrezept des Altstadt Kuriers: Volles Engagement für die gewählte Zielgruppe ohne falsches Schielen auf die Inserenten. Denn die eingangs erwähnte «Zürcher Altstadt» gibts schon längst nicht mehr.