Mein Vater, der Pornoproduzent

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Aufgewachsen an der Stüssihofstatt oberhalb eines Sexkinos und mit einem Pornosternchen als Babysitterin hatte unsere Gastschreiberin Liliane Preissle dank ihrem Vater eine aussergewöhnliche Kindheit mitten im Dörfli.


Ein Kind läuft an einem Sexkino im Zürcher Niederdorf vorbei, zeigt mit dem Finger auf eine halbnackte Blondine mit prallen Brüsten und sagt: «Schau Papa, da ist Sandra.» Dieses Kind war ich und mein Vater produzierte den auf dem Plakat beworbenen Pornofilm. Peter Preissle hat nie ein Geheimnis aus seinem Beruf gemacht, auch gegenüber seinen drei Töchtern nicht. Aufgewachsen oberhalb des Sexkinos Stüssihof, hatte ich eine einmalige Kindheit.

Heute ist Peter Preissle nur noch Vater und Ehemann. Seine Zeiten in der Sex-Branche sind vorbei, weiterhin ist er für das Programm im Kino Stüssihof mitverantwortlich. Jetzt zeigt das Kino nicht mehr Filme ab 18 Jahren, sondern Blockbuster, Dokumentationen und Schweizer Produktionen. Meine zwei Schwestern und ich sind mittlerweile erwachsene Frauen und blicken auf eine einzigartige Zeit zurück.


Normale Fragen, unangenehm
Meine Mutter, Manuela, wurde einst von einer anderen Mutter gefragt, ob sie keine Angst habe, weil ihr Mann in einer Branche voller junger Mädchen arbeitet. Damit hatte sie kein Problem. Sie hatte nie Bedenken wegen den Schauspielerinnen selbst, sondern eher wegen der bei einem Besuch mitgebrachten Hunde. Schliesslich zeugte ausgerechnet der Mann dieser skeptischen Frau ein aussereheliches Kind. Der Mann, ein Metallbauer, ist demnach als Ehemann nicht vertrauenswürdiger als ein Pornograf.

Als Tochter bleibt man, wie meine Mutter als Ehefrau, nicht verschont von Reaktionen. Bei meinen Klassenkameraden im Schulhaus Hirschengraben war der Beruf nie ein Thema, bis ich dann in die vierte Klasse kam. 2002 machten wir einen Schulausflug an die Expo.02. Eine Gruppe von Jungs fanden ihren Spass an den – dazumal hochmodernen – Internet-Terminals, die überall auf dem Gelände verteilt waren. An den Geräten riefen sie die Website www.sex.ch auf, dort fanden sie schnell den Namen Peter Preissle. Den Rest der Geschichte kann man sich ausmalen. Der Ausflug brachte mich in Erklärungsnot und ich wurde unvorbereitet mit Fragen gelöchert. Zu meiner Zeit gab es glücklicherweise noch keinen Vatertag in der Schule, bei meiner jüngsten Schwester Linda aber war das anders. Eine neue Situation, die bestritten werden musste. Ein mit meinem Vater befreundeter Bankdirektor nahm sich des Problems an und so durfte Linda bei ihm auf der Grossbank reinschnuppern.

Normale Fragen wie: «Was arbeitet dein Papa?» wurden plötzlich unangenehm. Als Tochter legte ich mir deshalb eine Reihe von Antworten zurecht. Meistens antwortete ich mit «Kino-Leiter». Manchmal war er aber auch ein Artdirector, die meisten Gleichaltrigen verstanden diesen Begriff nicht und das Thema war damit durch. Auf meinem Lebenslauf für eine Lehrstelle einigten wir uns auf Producer. Andere Kinder müssen sich mit solchen Fragen nicht aufhalten, für uns war es normal.

Mittlerweile sind wir alle drei in einem Alter, wo das ganze Thema rund um den Beruf unseres Vaters sekundär wurde. Die Tatsache ist vielmehr ein ziemlich cooler Funfact unter FreundInnen und Bekannten geworden.


Filmfestival in Cannes
Als Kind verbrachte ich jeweils einen Monat in Cannes am Filmfestival. Zu dieser Zeit gab es im Untergeschoss des Palais de Festival eine Adult Section. Dort kamen die Amerikaner und die Europäer zusammen und haben Pornofilmrechte gehandelt. Parallel zum regulären Festival fand in einem Nachbarort in einem grossen Hotelkomplex die Verleihung des ersten Porno-Oscars, des Hot d’Or, statt. Das Festival fand jährlich zeitgleich mit den Frühlingsferien statt. Meine Eltern beantragten schriftlich eine Verlängerung der Ferien für meine Schwester Lisa und mich. Während meine Freundinnen also im Kindergarten an der Trittligasse bastelten, bauten meine Schwestern und ich Sandburgen an der Côte d’Azur.

Bei allen Geschäftsreisen waren wir natürlich nicht dabei. Oft war unser Vater auch alleine im Ausland unterwegs, aber nach jeder Rückkehr gab es Geschenke. Einmal beschenkte er uns mit Baby-G-Uhren, ein anderes Mal gab es Cowboy-Stiefel aus Schlangenleder. Heute sagt er: «Am schönsten war es, wenn ich die Familie dabei hatte. In Locarno am Filmfestival brachte ich euch allen das Schwimmen bei.»


Unterwegs mit Pornosternchen
Ein Abendessen mit einer Porno-Darstellerin in der «Bauernschänke» am Rindermarkt war für mich nichts Aussergewöhnliches. Meine einzige Sorge bestand darin, ob das junge Mädchen nett zu mir war oder nicht. Gewisse Darstellerinnen mochte ich mehr als andere. Eine sehr unsympathische Dame blieb mir besonders in Erinnerung: Die blonde, langbeinige Susi Hotkiss. Mit ihr waren wir einen ganzen leidigen Tag unterwegs, als wir H.R. Giger in seinem Museum in Gruyère besuchten. Sie hatte weder einen süssen Hund, was eigentlich fast alle Darstellerinnen hatten, noch gab sie sich besondere Mühe, lustig oder höflich zu sein. Kinder schien sie als Last zu empfinden, mein Vater meint heute: «Ihre Liebe galt den Pferden, mittlerweile arbeitet sie deshalb als Pferdetrainerin.»

Meine liebste Darstellerin war eine Bündnerin, also ein Schweizer Pornosternchen, meine Nachbarin und Babysitterin. Sie ist immer sehr fürsorglich mit uns umgegangen und hatte sogar zwei Hunde – Boubou und Joujou. Was unsere Lieblingsbabysitterin genau gemacht hat, wussten wir natürlich nicht. Hin und wieder zierte das Mädchen aus St. Moritz die Titelseite von Boulevard-Zeitungen, doch einem Kind fällt das nicht auf. Ich mochte Anni sehr. Rückblickend erinnert sie sich noch gut an die Zeit von damals: «Peter war ein sehr stolzer und liebevoller Vater. Du, Lili, warst die Gasgeberin und Lisa war die Ruhige.» Heute ist sie selbst glückliche Mutter von zwei Töchtern.


Totengräber der Pornoindustrie
Die Phase unserer Pubertät hat mein Vater wegen seines Berufs nicht anders wahrgenommen als andere Eltern. Fragen rund um die Pubertät hat er meiner Mutter delegiert. Peter Preissle war immer der liebe Papa, der fast alles erlaubte. Wenn ich also einmal in einer misslichen Lage bin, wende ich mich noch heute zuerst an ihn. Das Telefon beginnt dann mit dem Satz: «Papa, bitte sag es Mama nicht.»

Bei der eigenen Entwicklung kommt es laut des Psychologen Lukas Scherrer darauf an, inwieweit ein Kind in den Beruf der Eltern involviert wurde. Ich wusste zwar, was mein Vater machte, kannte aber nur Teilaspekte davon. Erst als ich alt genug war, vervollständigte sich mein Bild über seine Tätigkeit. Ebenfalls relevant für die eigene Entwicklung sind die Erlebnisse mit dem Beruf. Ich kann von mir behaupten, dass ich überwiegend positive Begegnungen hatte.

Das Internet hat sich als Totengräber der Pornoindustrie erwiesen. Mein Vater vermisst heute die Branche.

Das Unternehmen hat aber bereits vor Jahren die Weichen für eine Zukunft ohne Pornos gestellt. Die Arena Cinemas haben sich schweizweit etabliert – von den Sexkinos zu den Familienkinos.


Unvergessliche Kindheit
Mittlerweile ist Peter Preissle pensioniert und arbeitet nur noch vereinzelt im Kino am Stüssihof. Er will sich nun seiner zweiten Leidenschaft, der Kunst, widmen. Neben der Kunst bleiben die Familie und ein Ferienhaus in Sedrun. Meine Eltern sind heute noch glücklich verheiratet und trotzen jedem Vorurteil von Dritten.

Dank meinen Eltern hatte ich eine unvergessliche Kindheit im Kreis 1, sowohl am Stüssihof als auch an der Predigergasse. Dabei lernte ich das Dörfli, mein Zuhause, auf eine Art und Weise kennen, die sich kaum in Worte fassen lässt.

Nachdem ich im Kreis 4, 7 und 8 gewohnt habe, bin ich mittlerweile wieder im Dörfli zu Hause, wo ich jede Gasse mit einer Geschichte, Erinnerungen oder immer wieder neuen Erlebnissen verbinde.

 

Liliane Preissle

 

Unsere Gastschreiberin
Liliane Preissle (1992) ist in der Zürcher Altstadt aufgewachsen, die ersten acht Jahre direkt über dem Sexkino Stüssihof, danach an der Predigergasse. Nach der Schulzeit im Schulhaus Hirschengraben absolvierte sie die Handelsmittelschule an der Kantonsschule Enge und verbrachte ein halbes Jahr in Toronto. Sie arbeitete beim Filmverleih Ascot Elite. Berufsbegleitend erlangte sie an der Fachhochschule HWZ einen Bachelor in Kommunikation. 2016 stieg sie bei «MAAG Music & Arts» ein, wo sie zuletzt als Leiterin Marketing arbeitete. Derzeit tritt sie eine neue Stelle an.

Nach einigen Jahren kehrte sie in die Altstadt zurück, wo sie im Haus der Eltern eine Wohnung hat. Sie liest gern, ist viel unterwegs, besucht Konzerte.   

 

Foto: EM