Leben mit Tradition und Innovation

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Anfangs August 2021 hat Cornelia Camichel Bromeis ihre neue Stelle als Pfarrerin am St. Peter angetreten. – Der Altstadt Kurier hat sie zum Gespräch getroffen.

Am 1. August 2021 haben Sie Ihr Amt angetreten, am 29. August war der Begrüssungsgottesdienst am St. Peter und am Nachmittag die «Einsetzungsfeier» für alle neu gewählte Pfarrpersonen in Zürich. Wie sind Sie gestartet?
Am 1. August war ja bereits der grosse ökumenische Gottesdienst zum Nationalfeiertag, dann ein Gottesdienst zu den Glockeninschriften, am 29. August die Antrittsgottesdienste. Es war eine intensive Zeit, eine gute Zusammenarbeit, ein schönes Zusammenspiel. Am Abend des 29. August war ich dann schon müde, aber sehr zufrieden. All das Neue, die vielen Begegnungen…


Sie sind umgezogen von Davos in die Zürcher Altstadt. Wie fühlt sich das an?
Das war ein Entscheid, den die ganze Familie mitträgt. Das Wohnen in der Altstadt und im historischen Pfarrhaus ist ein absoluter Hit. Mein Arbeitszimmer war ab 1523 die Stube des ersten reformierten Pfarrers am St. Peter, Leo Jud, einem Freund von Ulrich Zwingli. Es ist spürbar, dass hier Generationen von Menschen miteinander gelebt und gewirkt haben. – Wir sind seit Juni da und haben uns schon gut einleben können. Eine Hausärztin und einen Coiffeur muss ich aber noch finden…


Die vier Altstadtkirchen pflegen je ein eigenes Profil. Wie sehen Sie das Profil des St. Peter und wie wollen Sie damit umgehen?
Der St. Peter steht in einer liberalen Tradition. Das möchte ich weiter pflegen. Offen sein für viele Denkrichtungen und Lebensmodelle. Vieles soll möglich sein in der Kirche, aber es soll nicht zur Beliebigkeit verkommen, es muss ein Bezug zum Ort und zur Kirche vorhanden sein. Es ist ein reformierter Kirchenraum,  der nie geweiht worden ist. Nach reformiertem Verständnis heiligt das Tun die Gemeinschaft. Deshalb können gut auch andere Veranstaltungen als Gottesdienste darin stattfinden. Gleich gegenüber haben wir das Lavaterhaus, die St. Peterhofstatt und den Turm, die ebenfalls viele Möglichkeiten bieten. Diese Räume gilt es zur Verfügung zu stellen.


Wie wollen Sie den Kirchenraum nutzen?
Ich möchte das liberale Profil leben. Der St. Peter ist Kirche, Gemeinschafts-, Kultur- und Begegnungsraum. Da kann ein Wurstessen, ein Frauenmahl oder ein Apéro stattfinden. Hier finden Gottesdienste, Abdankungen, Hochzeiten und Taufen statt. Wunderbare Konzerte. Die neuen Polizistinnen und Polizisten werden hier brevetiert, es gibt den Hubertusgottesdienst für die Jäger. Es gibt die Petersfahrt, ein Anlass mit der Widderzunft. Ich möchte die Kirche öffnen für weitere Anliegen, die liberale Tradition pflegen, den humanistischen Geist.


Wo liegen Ihre Schwerpunkte, was ist Ihnen wichtig?
In Graubünden war ich die erste Dekanin der Pfarrsynode, am St. Peter bin ich die erste gewählte Pfarrerin. Ich werde auch aus der Perspektive der Frau erzählen. Wahrheitssuche steht immer in einem Kontext. Dafür möchte ich das Bewusstsein stärken. Die Vielfalt kultivieren, ohne beliebig zu werden. Ich möchte generationenverbindend wirken. Und immer im Team, in Bezug zu interessierten Menschen. Mit den Vereinen im Quartier. Toll ist die Verbindung zur Universität. Demnächst findet am St. Peter ein europäischer Theologie-Kongress statt, bei dem der Verein St. Peter mitwirkt.


Was bedeutet Ihnen die Ökumene?
Die Ökumene ist mir sehr wichtig, es gibt eine Zusammenarbeit mit der christkatholischen Augustinerkirche grad in der Nachbarschaft. Die Katholiken und die Reformierten in Zürich machen je noch etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Die spannende Frage ist: Wie kann man Christentum leben in Zürich, in einer pluralistischen Gesellschaft? Das Christentum ist und hat Boden in unserer Gesellschaft. Wie kann man das erhalten und pflegen, ohne zu vereinnahmen?


Wie sieht Ihr Alltag gegenwärtig aus?
Im Moment bin ich daran, mich in den Strukturen der grossen Kirchgemeinde zurechtzufinden und die Menschen hier kennenzulernen. Ich öffne die Tür für Hilfesuchende. Ich besuche das Alterszentrum Selnau, bin im Vorstand des Vereins St. Peter, im Vorstand des «Sunneboge». Mehrere Taufen stehen bevor an den nächsten Sonntagen, Abdankungen auf verschiedenen Friedhöfen. Ich lerne die Zünfte und viele andere Organisationen kennen. Ich möchte offen sein für die verschiedenen Milieus. Es freut mich, dass es hier eine Kantorei gibt, eine Organistin, einen Sozialdienst, eine gute Verwaltung und viele Freiwillige. Wir sind sehr gut aufgestellt. Und das alles in einer so schönen Umgebung! Ich freue mich auf all die neuen Aufgaben und auf die Begegnungen.


Interview: Elmar Melliger

 

Zur Person
Cornelia Camichel Bromeis (geb. 1970) ist in Tiefencastel zweisprachig aufgewachsen, besuchte das Lehrerinnenseminar in Chur und war zwei Jahre als Lehrerin tätig. Sodann Theologiestudium in Basel. Danach war sie zehn Jahre Pfarrerin in Chur, anschliessend in Davos Platz, 2011 bis 2019. Dazu war sie Kirchenrätin (sechs Jahre) und Dekanin (sieben Jahre), bis Juli 2021. Bereits im Juli 2020 entschied die Pfarrwahlkommission, sie als Pfarrerin am St. Peter vorzuschlagen.

Skifahren, Langlaufen, Biken und Singen sind ihr wichtig in ihrer Freizeit. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder (16-, 18- und 21-jährig).   

EM