«Feel Food» statt Halligalli

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Das «Calypso» gibt es nicht mehr. Im Gebäude des angeblich ältesten Stripclubs der Schweiz an der Niederdorfstrasse 60 kochen und jazzen jetzt enthusiastische jüngere Leute. «Feel Food» heisst die neue Losung im ehemaligen Rotlichtlokal, das total neu eingerichtet worden ist, und dies auf hohem und zugleich preiswertem Niveau.

Mindestens bauchfrei wirds ja bestimmt wieder einmal werden, später im Jahr. Derzeit aber sind auch die Passanten draussen in der Niederdorfstrasse dick vermummt. Drinnen sitzt man gemütlich-gediegen an den fünfeckigen, dunkelblau lasierten Tischen auf Horgenglarus-Stühlen  und nuckelt erst einmal Väterchen Frosts «Frostige Birne» mit Wacholder und Thymian (Fr. 11.–). Glühwein (Fr. 7.–) gäbe es auch, mit Winternegroni (Fr. 12.–). Mit Väterchen Frost ist übrigens nicht die slawisch-russische Märchenfigur gemeint, sondern der Schaumwein des in Fach- und Geniesserkreisen angesagten Winzers Stephan Herter aus Hettlingen, der am Winterthurer Taggenberg mit Freude und Sorgfalt seine Weine anbaut. Die Bühne mitten im dunkel aufgemotzten einstigen Halligalli-Lokal ist gerade verwaist. Aber von Donnerstag bis Samstag wird hier live gejazzt.

Gründer des «Rechberg 1837»…
Vor fünf Jahren eröffneten die Brüder Alexander und Raphael Guggenbühl zusammen mit Carlos Navarro und Celine Horst in der 1837 erbauten historischen Liegenschaft an der Chorgasse 20 am Predigerplatz ihren «Rechberg 1837». Das Haus gehört der Stadt. Gekocht und aufgetischt wird, was es im vorletzten Jahrhundert in der Zürcher Fleischhalle (1866-1962) zu kaufen gab. «Kalbshaxenmoschee» dürfte man sie heute, da die Stadtverwaltung die politische Korrektheit definiert, wohl nicht mehr nennen.
Die Crew ist kulturell vorbelastet. Ururgrossvater Adolf Guggenbühl gab an der Storchengasse 16 den aufrecht schweizerischen «Schweizer Spiegel» heraus und hatte 1935, mitten in der Fröntlerzeit, den Mut, «Die Moorsoldaten» von Wolfgang Langhoff zu veröffentlichen, den ersten authentischen Bericht aus einem Nazi-Konzentrationslager. Langhoff arbeitete damals am Schauspielhaus Zürich. Der Vater von Carlos Navarro ist Tony Navarro, der, lange ists her, für Zürich die spanische Küche erfand. Celine Host absolvierte einen Teil ihrer Ausbildung im Niederdorfhotel «Alexander», dessen Geschäftsführerin die Liegenschaft Niederdorfstrasse 60 gehört.

…jetzt auch am Rank
Vor Monaten ergab sich dann die Möglichkeit, an der Niederdorfstrasse 60 das ehemalige Striplokal «Calypso» von ihr zu pachten. Für die Geschäftsführung haben die Rechbergler fünf etwas jüngere, lauter tipptopp ausgebildete Freundinnen und Freunde verpflichtet. Die haben die Hotelfachschule absolviert und in renommierten Häusern gearbeitet, beispielsweise im Park Hotel Vitznau, im Storchen und im Dolder.
Küchenchefin ist Michaela Frank. Sophia Ender und Anna-Lena Zastrow koordinieren zwischen der Küche und dem Service. Adrian Schindler kümmert sich ums Lager und den Einkauf von Getränken. Sogar ein Sozialarbeiter, Thom Kiener, ist quereingestiegen. Alle Teammitglieder engagieren sich aber auch operativ an der Front. Bringen Mineralwasser, erklären den Adank Sauvignon Blanc aus Fläsch GR (ein Zweierli 21 Franken: «Sorry, der 2018er ist ausgegangen, also 2019 – prost!»
«Feel Food» heisst ausgedeutscht, dass das Essen im «Rank» glücklich machen soll. Das fängt  mit dem Kernenbrot vom Neuhof an, samt Hausbutter (Fr. 6.50). Fein ist das Onsenei auf Winterspinat mit einem Klacks Käsesauce (Fr. 19.–), auch wenn das Ei seine cremige Konsistenz nicht einer japanischen Heilquelle verdankt. Die Apfel-Sellerie-Suppe (Fr. 16.–), wow! Auch das marinierte Poulet mit Kohlrabi, Miso Mayo, Koriander, Chili und Erdnüsschen (Fr. 24.–) lässt man sich gerne schmecken. Oder das geschmorte schottische Hochlandrind (Fr. 43.–) oder die Diebholzer Gans mit Kohl und Preiselbeeren (Fr. 39.–). Empfehlenswert ist natürlich das von der Küche «dirigierte» Viergang-Menü, das für eine Person 85 Franken kostet und ab zwei Personen 80. Auf das gesamte Angebot wird ein Kulturprozent (zwei Prozent) erhoben, für die Musiker. Altstadtbewohnerinnen und -bewohner können übrigens für 150 Franken Jahresbeitrag Mitglied des Kulturvereins werden (www.amrank.art) und erhalten eine fünfprozentige Ermässigung und gratis Eintritt zu allen Konzerten.

Brunch am Samstag
«Erfunden» hat den Brunch für die Schweiz der legendäre Gastro-Unternehmer und «Mövenpick»-Gründer Ueli Prager (1916-2011). Im «Rank» wird am Samstag von 10 bis 15 Uhr gebruncht, mit Toasts, Umami-Omeletts, Zopf, hausgemachter Marmelade, geröstetem Maggiabrot… Lauter feine Sachen.
Was die Öffnungszeiten des sympathischen Lokals in Corona-Zeiten angeht, konsultiert man am besten die aktuell nachgeführte Website www.amrank.ch. Brunch gibts vielleicht schon bald wieder auch am Sonntag!

Esther Scheidegger


Kulturlokal «Rank», Niederdorfstrasse 60, Telefon
044 777 80 01, Dienstag bis Freitag 18 bis 24 Uhr, Samstag Brunch von 10 bis 15 Uhr, Abendessen ab 18 Uhr, www.amrank.ch.


Zur Abbildung:
Das Kernteam vom «Rank»: Thom Kiener, Michaela Frank, Sophia Ender (hinten, von links),  Anna-Lena Zastrow, Adrian Schindler (vorne sitzend).

Foto: EM