Küss die Hand, gnädige Frau

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Nach einer Auffrischung mit einigen gezielten Eingriffen ist das ehemalige Bistrot «Chez Marion» neu eröffnet worden. Als Restaurant mit Wiener Spezialitäten, vom Wiener Schnitzel bis zum Kaiserschmarrn, lässt es keine Wünsche offen.

Alles wird anders und bleibt doch ähnlich. Ein französisches Bistrot schliesst die Tore, ein österreichisches Kaffeehaus öffnet sie dieser Tage wieder. Dabei bleibt das Wesentliche erhalten. Uns freuts. Mit «wesentlich» meinen wir nicht nur die schöne Bar im Jugendstil, welche den Raum immer noch dominiert. Das ganze Lokal wurde gegenüber früher nur punktuell aufgehübscht. Weniger Bilder und Spiegel. Dafür frische Farbe an den Wänden. Und ein grosses, alles dominierendes Logo, der «Wilde Kaiser». Rechts neben der Bar entstand ein Bereich mit hohen Tischen und Stühlen. Sie laden weniger zu einem ausgiebigen Essen, sondern mehr zu einem kurzen Kaffee oder Apéro ein.

Wiener Spezialitäten
Ziel der Betreiber ist es, drei Konzepte zu vereinen. Sprich, morgens eher Wiener Kaffeehaus, mittags dann Jausenstation (ein schnelles Mittagessen mit einer Wurstsemmel) und abends Restaurant mit österreichischen Spezialitäten. Als Vorbild dient der «Wilde Kaiser» in Zumikon, welcher von den gleichen Besitzern, Nicole und Christian Krahnstöver, betrieben wird. Zum Zeitpunkt unseres Besuches liegt der Fokus noch auf dem Abendessen. Man will abwarten und sehen, wie es sich entwickelt.
Als Zweites fällt uns die Begrüssung auf. Diese ist sehr wienerisch, freundlich. Frauen werden mit «Küss die Hand, gnädige Frau» begrüsst. Das ist spannend, weil ja im Wienerischen gerne passiv formuliert wird. Also man es als fast schon unhöflich empfindet, direkt angesprochen zu werden. So fragt man eher «Wird die Butter noch gebraucht?» als «Brauchen Sie die Butter noch?». Auch als wir lieber einen anderen Tisch möchten als den uns zugeteilten. Das geht sich dann aus, wie der Österreicher gerne sagt. Wie man uns auf Nachfrage mitteilt, kommt der Wiener ohne diese Redewendung nicht aus. Für alles und jedes. Ich komme nicht unpünktlich, sondern: «Du, Tschuldigung, es geht sich nicht aus.»

Die «Wienzeile»
Die Karte im «Wilden Kaiser» respektive in der «Wienzeile» ist klein und sehr übersichtlich. Zum Glück. Weil fast jedes Gericht darauf einer zusätzlichen Erklärung bedarf. Wäre die Karte länger, bräuchte es vermutlich mehr Personal. Nun hat der Kulinarier ein Faible für Österreich im Generellen und Wien im Besonderen. Die meisten Bezeichnungen sind mir deshalb bekannt. Hinter dem Wachauer Kalbsbries zur Vorspeise verbergen sich panierte und frittierte Milken. Dazu reicht man einen Dip aus Mayonnaise (Fr. 16.50). Wer jetzt die Nase rümpft, von wegen der Milken: Es besteht kein Anlass. Sie gleichen eher einem sehr zarten Hühnchen. Geschmacklich wie auch die Konsistenz. Das «Turbosupperl mit Frittaten» (Fr. 11.50) entpuppt sich als Bouillon mit Flädli.
Der Hauptgang! Also wenn schon Wien, dann Wiener Schnitzel. Man kann es wahlweise mit Kalb- oder Schweinefleisch haben. Ich wähle das Kalb zu Fr. 44.– und bin restlos begeistert. Das Schnitzel reicht bis über den Tellerrand. Die Panade wellt sich dem Auge des Betrachters entgegen. Es ist so zart, dass es sich mit dem Messerrücken zerteilen lässt. (Ich habe es selbst ausprobiert.) Dazu gibt es einen Erdäpfelsalat, der seinesgleichen sucht. Kartoffelsalat mit Kürbiskernöl und gerösteten Kürbiskernen. Äusserst schmackhaft. Zur Panade, nicht nur beim Schnitzel, sei noch gesondert eine Bemerkung erlaubt. Sie ist anders – und ein Geheimnis. Nicht zur vergleichen mit einem panierten Schnitzel, wie man es sonst irgendwo isst. In die gleiche Richtung wie das Schnitzel übrigens geht auch der Wiener Tafelspitz, also Siedfleisch. Sehr zart, sehr gut im Geschmack (Fr. 39.–).

«Jetzt is schooo wuascht»
Obiges steht so auf der Karte. Und wirklich, jetzt ist es auch schon egal. Also gibt es zum Dessert einen Kaiserschmarrn «Wilder Kaiser». Allein deshalb schon ist ein Besuch in der «Wienzeile» angesagt. Und glauben Sie mir: Nach Wiener Schnitzel und Tafelspitz als Hauptgang genügt eine Portion, für beide. Die Fr. 13.50 kann man sich getrost ebenso teilen.
Zur Begleitung der Speisen empfiehlt sich etwas aus der österreichisch geprägten Weinkarte. Uns hat es der Merlot Ettler Ried angetan (Fr. 8.– pro Dezi).
Wir fanden den Start der «Wienzeile» gelungen. Bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass das Konzept dann im Ganzen greift, also auch am Morgen und über den Mittag. Wir wünschen es uns jedenfalls – und den Betreibern alles Gute!

Alexander Villiger


Restaurant «Zum Wilden Kaiser – Wienzeile», Mühlegasse 22/Zähringerplatz 17, 8001 Zürich. Offen Dienstag bis Samstag von 10 bis 23 Uhr, Sonntag und Montag geschlossen. Reservation empfohlen, Tel. 078 230 40 99 oder unter kaiser-wienzeile.ch.