«Herrgottsbscheisserle»

Im denkmalgeschützten «Lindenhofkeller» wird seit 1878 gewirtet. Jüngster Küchenchef ist seit Ende Dezember 2022 Sebastian Rösch; sein Vorgänger war der stadtbekannte René K. Hofer. Im Sommer wird auch die romantische Terrasse im Hinterhof wieder benützt werden können.
Auf dem Lindenhof ist alles historisch. Wer in Zürich zur Schule ging oder geht, macht an der Pfalzgasse (oder im Landesmuseum) unweigerlich irgendwann Bekanntschaft mit dem Grabstein des Lucius Aelius Urbicus. Das Büblein starb Ende des 2. Jahrhunderts, gerade ein Jahr, fünf Monate und fünf Tage alt. Sein Vater war Vorsteher der Zollstätte Turicum gewesen. Dieser frühere Name für Zürich ist die älteste erhaltene Erwähnung unserer Stadt. Der Lindenhof ist Zürichs älteste öffentliche Grünanlage. Die Freimaurerloge Modestia cum Libertate zelebriert auf dem Hügel seit 1852 ihre Rituale. (Sehr lesenswert dazu: «Der Stempel des Geheimnisvollen» vom jüngst verstorbenen Alfred Messerli (1930-2022), Salier Verlag.) Und im «Lindenhofkeller», der ihr ebenfalls gehört und der seit 1955 so heisst, wird seit 145 Jahren gewirtet.
Fränkische Brotzeit
«Executive Wirte» nennen sie sich, Sebastian Rösch und sein Sommelier Alexander Schmidt. Sie haben sich und ihr Team auch beim zwei Monate dauernden Umbau des Lokals aktiv eingebracht. Geblieben sind das denkmalgeschützte Täfer und der Holzofen. Der Innenausbau wurde geschmackvoll und dezent gehalten; das englisch anmutende «racing green» hat uns besonders gefallen.
Das Lokal besteht aus zwei stimmigen Gasträumen, einer offenen Küche und der bereits erwähnten lauschigen Innenhof-Terrasse an der Anhöhe, wo Zürich nachgewiesenermassen am ältesten ist.
Sebastian Rösch, ehemals kellenführend im «Mesa», ist Franke. Das ist ein Bayer aus dem nördlichsten Bayern (mehrheitlich protestantisch!) mit wunderbaren Städten wie Bayreuth (Wagner!), Kulmbach (Bier!) oder Coburg (Albert von Coburg Sachsen und Gotha, besser bekannt als Ehegespons von Queen Victoria). Seine Herkunft verleugnet Sebastian Rösch nicht, er spielt sie vielmehr genüsslich aus und bereichert damit die geografisch-kulinarische Spannweite im Kreis 1. – Zum Einstieg passt Brot mit Obatzter (Käsecrème, Fr. 5.–) oder eine Brezn mit Rohmilchbutter (Fr. 12.–). Die «Herrgottsbscheisserle» (Fr. 32.–/38.–) sind mit Siedfleisch gefüllte Maultaschen, die man wie Ravioli verspeisen kann. Sie sollen einst von Zisterziensermönchen im Kloster Maulbronn erfunden worden sein. Weil sie freitags und in der Fastenzeit eigentlich fleischabstinent hätten leben sollen.
Solls eine Brotzeit sein (Fr. 46.–, für zwei Personen)? Dazu gehören Laugenbrezen und Roggenbrot, Grünzeug und eine sprachlich herausfordernde Aufschnittplatte mit Lardo, weissem Pressack aus der Blase (hierzulande Schwartenmagen genannt), Coppa und Rhöner Rauchpeitschen. Die Zürichsee-Schwalen (Fr. 26.–), ein längere Zeit verkannter Weissfisch (Rutilus rutilus)? Oder doch lieber Zander vom Lago Maggiore mit Szegediner Sauce und gegrillter Paprika (Fr. 45.–)? Oder das Spanferkel mit Spitzkohl und Lömmenschwiler Dörrbirne (Fr. 48.–)? Dörrbirnen sind eine Innerschweizer Spezialität. Bruder Klaus soll sich im Flüeli Ranft von Brot und Dörrbirnen ernährt haben.
Feinbürgerlich
Angeboten wird das «Chef’s choice»-Menü, ein Fünfgänger für 145 Franken, den es zum gleichen Preis auch vegetarisch gibt. Das Mittagsmenü wechselt wöchentlich, also jeweils am Mittwoch. Der «Lindenhofkeller» ist toll vernetzt: für französische Enten mit der Sélection Alfred Escher in Zürich-Wollishofen, für Enten und österreichisches Wild mit der Metzgerei Reif in Zürich-Fluntern, mit Bianchi, mit dem Zürichsee-Fischer Sämi Weidmann, mit der Molki Stans und Chäs & Co, für Haselnüsse mit der Bauerngemeinschaft Valeria in Grossbardorf, Unterfranken… Die Weinkarte ist exzellent, im Zweifelsfall ist Sommelier Alexander Schmidt gleich zur Stelle.
Im «Lindenhofkeller» isst und trinkt man – für Zürcher Verhältnisse – zwar nicht gerade billig, aber zu fairen Preisen, was uns vor allem bei der Weinkarte aufgefallen ist. Wir gehen gerne wieder hin. Versprochen.
Esther Scheidegger
Restaurant «Lindenhofkeller», Pfalzgasse 4, Tel. 044 599 95 70, restaurant@lindenhofkeller.com, www.lindenhofkeller.com. Geöffnet Dienstag bis Samstag 18 bis 24 Uhr, Mittwochmittag von 12 bis 14 Uhr. Unbedingt reservieren!