Altzürcherisch, mit Hund

Bild zum Artikel

Seit August 2020 führen Carina und Till Bächtold das Zunfthaus «Rüden». Die beiden passionierten Gastro-Profis lieben das historische Haus, den Betrieb und meistens auch die Kundschaft.

Aus der stolzen Reihe der alten Häuser am Limmatquai ragt das Haus zum Rüden wie ein Solitär hervor, als wollte es die besondere Bedeutung seiner Besitzer-Gesellschaft im Zürcher Zunftwesen betonen. Der «Rüden» gehört der Gesellschaft zur Constaffel, und die Constaffler, die hier zu Hause sind, legen Wert darauf, als Gesellschaft und nicht als Zunft bezeichnet zu werden, obwohl sie sich reibungslos ins Zürcher Zunftsystem einfügen. Kunststück, die Constaffel stand ja auch am Anfang der ganzen Bewegung. Ihr Gründer war kein Geringerer als Bürgermeister Rudolf Brun, der kraftvolle und eigensinnige Schöpfer der Zürcher Zunftverfassung, der am 17. September 1360 geköpft wurde.

Guter Zunftwein
So geniert sich denn auch niemand, dass es hier keinen «Gesellschaftswein» gibt, sondern einen Zunftwein, freilich aus bestem Hause: Maienfelder Pinot Noir Constaffel Molina von Schloss Salenegg. Auf dem Etikett hockt der Rüde(n), eine Flasche kostet 84 Franken. Wir waren zu viert und bestellten bald eine zweite Flasche, so gut hat er geschmeckt.
Wir sitzen in der grosszügig angelegten Arkade am Limmatquai unter einem der bordeauxroten, mit dem Wappentier des Hauses, dem Rüden, dekorierten Schirme und fühlen uns wohl. Die nah zirkulierenden Trams stören kaum. Der Service ist freundlich und präsent. Die hausgeräucherten Jakobsmuscheln mit Passionsfrucht-Limettendressing (Fr. 24.–/34.–) schmecken meinem liebsten Mitesser vorzüglich. Mir passt der Peperoni-Risotto mit geräucherter Artischocke und geriebener Belper Knolle (Fr. 22.–/32.–).

Leckeres Essen
Doch gespannt sind wir natürlich alle auf Regulas Kommentar zum «Rüden»-Klassiker, dem Zürigschnätzlete mit Rösti (Portion Fr. 46.–, à discretion Fr. 68.–). Sie ist meine Schwester,  unsere Eltern führten damals – Familientradition! – zum 20. Geburtstag jedes Kind erstmals in den «Rüden». Das ist sehr lange her. Damals gab es noch kein veganes Zürigschnätzletes aus Erbsen- und Fava-Protein. Das Zürigschnätzlete sei fein, sagt Regula.
Die beinahe religiöse Diskussion, ob Nierli dazugehören würden, ersparen wir uns. Wir widmen uns lieber den Hummer-Taglierini «Bertoldo Style» (Fr. 26.–/38.–), kanadischem Hummer mit Olivenöl, Knoblauch und Peperoncini, einer köstlichen Kreation von Till Bächtold, der als Kochlehrling im «Savoy» auf den Spitznamen «Bertoldo» getauft worden war. Ein Paar wurden die Bächtolds, als sie beide im «Widder» arbeiteten.
Ein Leckerbissen auf der angenehm überschaubaren Speisekarte ist das mit Safran Beurre blanc nappierte Rotbarbenfilet mit Schmorzwiebeln, Bohnen und Soufflékartoffeln (Fr. 46.–). Unser fleischlichen Genüssen abholde kritische Experte Alain könnte sich für den Käseteller unter anderem mit mildem Sternenberger, rezentem Appenzeller und Trüffel-Brie mit Tessiner Feigensenf und Früchtebrot (Fr. 16.–) begeistern, wählt dann aber die Basilikum-Ricotta-Ravioli (Fr. 22.–/ 32.–). Restlos begeistert waren wir alle von Dessertvariationen der Patissière Charly, insbesondere von der Crèmeschnitte (Fr. 18.–). Küchenchef ist der junge Dresdener Mark Koppitz.

Die Constaffler
Der Begriff Constaffel leitet sich übrigens vom lateinischen comes stabuli ab, was etwa mit «Stallmeister» zu übersetzen ist. So benannte man vom 14./15. Jahrhundert an in Frankreich und England zuerst den Inhaber des königlichen Haushofmeisteramtes und später den obersten Heerführer.  Vor diesem Hintergrund hat sich die Gesellschaft zur Constaffel nie wie die Zünfte auf bestimmte Berufe oder Branchen festgelegt, sondern sich ungeniert als elitär verstanden, als die Oberschicht der politisch und wirtschaftlich aktiven Zürcher Gesellschaft. In der Selbstdarstellung tönt das wie folgt: «Wie ehemals um 1336 so erleichterten im frühen 19. Jahrhundert Constaffler, etwa der besonnene Bürgermeister Hans von Reinhard, erneut den Übergang in eine andere Zeit.» So gesehen war (und ist) es logisch, dass zu den Constafflern Zugang hat, wer – so wieder die Selbstdarstellung – «als Geistlicher, Arzt und Apotheker, Jurist, höherer Lehrer, Privatgelehrter und Literat, Architekt, Ingenieur, höherer Beamter, Rentner, Kaufmann oder Industrieller» hervortritt.
Menschen, die auf dieser Flughöhe durchs Leben reisen, haben (frei nach Oscar Wilde) einen ganz einfachen Geschmack: Sie sind immer mit dem Besten zufrieden. Im «Rüden» bekommen sie es, wie man dem neuen Pächterpaar bestätigen darf.

Esther Scheidegger


Restaurant «Haus zum Rüden», Limmatquai 42, Tel. 044 261 95 66. Parterre Dienstag bis Samstag 11 bis 23 Uhr, Restaurant im 1. Stock Dienstag bis Freitag 11.30 bis 14 und 18 bis 23, Samstag 18 bis 23 Uhr.