Silvana Lattmann

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Wenige Wochen vor ihrem 100. Geburtstag (am 8. November) hat Silvana Lattmann im Oktober 2018 ihre geliebte Wohnung an der Brunngasse 8 verlassen und ist in eine Seniorenresidenz in Rüschlikon gezogen, wo sie in guter Obhut und in der Nähe ihres Sohnes Massimo, ihrer Enkelinnen und Urenkel war, die Altstadt und das pralle Leben jedoch vermisste.
Die temperamentvolle gebürtige Italienerin hatte ein reich erfülltes Leben, mit Höhen und mit schlimmen Zeiten. Wie damals, als ihr Mann, sie war im sechsten Monat schwanger, im Zweiten Weltkrieg fiel. – Die studierte Biologin schlug sich irgendwie durch, kam 36-jährig in die Schweiz, wo sie abermals heiratete und in St. Gallen und in Rüschlikon wohnte. 1993 zog sie mit ihrem Mann in die Zürcher Altstadt, an die Mühlegasse, nach dessen Tod dann 1996 an die Brunngasse, wo sie in direkter Nachbarschaft mit ihrer Tochter Alexandra und deren Familie lebte.
Hier fühlte sich die vielseitig talentierte und engagierte Frau wohl. In ihrer Wohnung übrigens hat sie bei der Sanierung des städtischen Hauses entdeckte Wandmalereien aus dem Mittelalter auf eigene Kosten restaurieren lassen. Die Wandmalereien entpuppten sich dann als geschichtlich äusserst wertvoll. Inzwischen ist die Wohnung ein Kleinmuseum, der «Schauplatz Brunngasse».
Sie war seit den 1970er-Jahren aktiv als Dichterin, Schriftstellerin, Malerin. Ihr umfangreiches Werk übergab sie 2017 als Vorlass an die Zentralbibliothek. Noch mit 99 Jahren stellte sie ihre vorletzte Publikation vor, ein autobiografisches Buch («Nata il 1918»), dessen Vernissage in der Zentralbibliothek gefeiert wurde.
Sie füllte gern ihre Rolle als Mutter, Grossmutter und Urgrossmutter aus, ebenso als versierte Gastgeberin. Hier in Zürich und in ihrem Haus in ihrer zweiten Heimat, auf der Insel Elba, wo sie bis fast zuletzt alljährlich einige Monate verbrachte.
Am 19. Juli 2023 ist sie in ihrem 105. Lebensjahr gestorben, eine grosse Trauergemeinde hat in einer bewegenden Feier von ihr Abschied genommen.

Elmar Melliger