Seeüberquerung

Innerlich bereit. Luft 33 Grad, aufgewärmt durch Lockerungsübungen, wartet man mit einigen hundert anderen auf den Start, am 23. August 2023. Es ist Seeüberquerung. Von der Badi Mythenquai zur Badi Tiefenbrunnen sind es 1500 Meter, gut 8000 Personen werden die Strecke gemeistert haben. «Dies ist kein Wettschwimmen», erklärt der Speaker. Und schon schwimmt man mit der grossen Masse. Die Wasseroberfläche wird aufgewühlt durch Tausende Arme und Beine, die auf ihr herumschlagen und sie ins Wabbern bringen. Sich von der grossen Meute zurückfallen lassen, ist mein Gedanke. Dazu brauche ich nichts weiter zu unternehmen, als in meinem angeschlagenen Tempo weiterzuschwimmen.
In ruhigeren Gewässern angelangt, lege ich mich ins Zeug, um vom Fleck zu kommen. Neben mir höre ich eine mittelalterliche Frau zu ihrer Mitschwimmerin sagen: «Mit meinem Mami muss ich auch immer ganz langsam schwimmen.» Sie redet unablässig, scheinbar ohne zu atmen: «…da hätten wir dann einen Kreditoren-Notfall…» Neben mir muss ein englischsprachiger junger Mann auf einem der Begleitboote einen Krampf-Zwischenhalt einlegen. Jemand fragt: «Sind wir schon in der Hälfte?» Da taucht die Marke «320 Meter» auf. Da fehlt noch was. Das Wasser ist, so sagte der Sprecher: «Offiziell 27,9 Grad.» Da sollte das doch ohne Krampf möglich sein. Da fängt der linke Fuss an zu zirpen. Ruhig bleiben, es ist nichts. Schon zischen die Crawler der nachfolgenden Startgruppe an mir vorbei. Weitermachen. «Jetzt kommen schon die Brustschwimmer», konstatiert die Dame neben mir. Ok, die meisten sind ja vierzig Jahre jünger. «In vier Monaten ist Weihnachten», gibt eine junge Frau ihren Begleiterinnen bekannt, die an mir vorbeiziehen.
Die rechte Wade verharrt in krampfähnlicher Anspannung, doch da kommt das Ziel ins Blickfeld. Wie ich in die Zielgerade einbiege, es ist 18 Uhr, beginnen die nahen Kirchenglocken zu läuten. Eine schöne Idee, ich bin ganz gerührt.
Eine Stunde und fünfzehn Minuten war ich unterwegs, am Ziel gibt es eine heisse Bouillon und Risotto. Wie ich später erfahre, hat eine 92-jährige Frau die Strecke in einer Stunde und fünf Minuten geschafft. Aber die hatte ja auch mehr Zeit zu trainieren.
Gerade merke ich, dass die Seeüberquerung ausserhalb unseres Reviers, des Kreis 1, stattfand.
Elmar Melliger