Lieber «Schlauch»!
Als Altstadtbewohner habe ich gezwungenermassen eine Strategie dafür entwickelt, die Schliessung von geliebten Lokalen wegzustecken und mich von wehmütigen Gefühlen nicht übermannen zu lassen. Die Bewältigung des Abschiedsschmerzes verläuft stets gleich: man nimmt die traurige Nachricht über die Schliessung zur Kenntnis, schluckt den bitteren Klumpen aus Frust und Ärger herunter und schaut wieder tapfer nach vorne in der Hoffnung, dass dort, wo ein Türchen zugeht, auch wieder ein neues aufgehen möge.
Dass nun aber du deinen Betrieb einstellen wirst, hat mich ungewöhnlich tief getroffen. Noch wenige Tage vor der Hiobsbotschaft war ich mit einem Freund bei dir zu Besuch und wir freuten uns, dass du stoisch allen Änderungen trotzt. Dein Innenraum erinnerte uns an eine Arche, die vor dem Wellengang der Zeit sicheren Schutz bietet. Du liessest dir über dein nahendes Ende nichts anmerken.
Steht die Schliessung eines liebgewonnenen Restaurants, Kinos oder Ladens an, gesellt sich bei mir zu den Gefühlen wie Trauer und Ärger oft auch das schlechte Gewissen, dass man der Lokalität zeit ihres Lebens nicht die Beachtung zukommen liess, die sie verdient hätte. Im Falle der Schliessung der altehrwürdigen Altstadtkinos nagt in mir rückblickend die Angst, dass ich zu Hause auf dem Sofa vor einer langweiligen Fernsehserie eingeschlafen war, während in ihnen die letzte Vorstellung lief. Auch in deinem Fall verhielt ich mich wie ein lausiger Freund, der viel zu selten zu Besuch kommt, weil er sich darauf verlässt, dass der andere sowieso immer für einen da ist.
Als besonders schlimm empfinde ich eine Schliessung aber, wenn die traurige Nachricht von unfreiwilliger und daher umso bitterer Ironie begleitet wird, wenn also der Name der Lokalität himmelschreiend mit ihrem Sterben kontrastiert.
So empfand ich es geradezu als Hohn, dass das Kino «Alba» (italienisch für «Morgenröte») trotz seines Namens dem Sonnenuntergang entgegenritt. Und im Falle der «Wursteria» musste ich unweigerlich an den Schlager «Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei» denken, um dann zu realisieren, dass den dort verkauften Würsten gerade kein zweites Leben vergönnt war.
Nun also du, geliebter Schlauch! Als ich die Nachricht über dein baldiges Ende vernahm, meinte ich, dass mir wenigstens die ätzende Ironie erspart bleibt. Doch dann stellte ich fest, dass ich irrte: In absehbarer Zeit werden nämlich die Räumlichkeiten des Musik Hug neu besetzt werden – von einer Turnschuhmarke, die für ihre gutbetuchte Klientel Schläuche zu bizarren Sohlenprofilen verwurstet. Ein Albtraum!
Es bleibt zu hoffen, dass die bisherigen Wirte Gabriela und Rolf Weingand eine gute Nachfolgelösung finden werden.
Geknickte Grüsse
Felix