Charme der Altstadt

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Unser Gastschreiber Peter Dudzik ist der Frage nachgegangen, was den Charme und die Atmosphäre der Altstadt ausmacht.

Die Gassen und Plätze zwischen Lindenhof und den Kirchen St. Peter und Fraumünster sind geprägt durch Altstadthäuser aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Ihre verputzten Fassaden sind wohl proportioniert, mit unregelmässig angeordneten Fensterzeilen. Die Fenster mit Fenstersprossen haben Steineinfassungen mit Sims, Pfosten, Säule und Fensterläden. Auch einfachere Handwerkerhäuser haben ihren besonderen Charme. Die Häuser schmiegen sich aneinander wie gute Freunde, sie wirken freundlich – anders als eintönige Ersatzneubauten (um 1949 bis 1953). Haustüren und ihre Einfassungen sind oft kunstvoll gestaltet. Manche Häuser sind mit Name und Baujahr angeschrieben, einige tragen ein Hauszeichen. Jedes dieser Häuser ist verschieden, auch mit späterer Aufstockung. Dennoch bilden ihre Fassaden eine Einheit als fein gegliederte unregelmässige Fassadenzeile.

Hier aufgewachsen
Rennweg / Augustinergasse–Strehlgasse–Weinplatz–Storchengasse bilden die Hauptverbindung von der oberen Bahnhofstrasse mit ihren Fussgängerströmen zum Münsterhof und über Rathausbrücke oder Münsterbrücke zum Limmatquai und ins Rathausquartier. – Die Strehlgasse empfand ich nicht als eng, wie sie vom Weinplatz erscheint: aus der gemütlichen Stube von Nr. 7 betrachteten wir den Betrieb auf dem kleinen «Schipfe-Plätzchen» vor dem «Beldona-Haus» (Ersatzneubau, Schipfe 7). An der Glockengasse verzweigt sich die Strehlgasse zur St. Peterhofstatt, weiter oben öffnet sie sich zu zwei Plätzchen, wo Schwanengasse, Rollengasse und Pfalzgasse einmünden, bevor beim Amazonen-Brunnen der breite Rennweg beginnt. Die Häuser sind hier kleinräumig angeordnet, aneinander mit massiven Mauern oder angebaut, optimiert nach Untergrund, Raum, Lichteinfall, Wärme, Lüftung, Besonnung. Nur hat ein Nachbar vor Jahren sein Waschhäuschen hoch oben auf die Zinne gebaut, was eine Stunde Sonne stiehlt. In dieser Vielfalt und Reichhaltigkeit sind wir aufgewachsen, es gab immer wieder etwas Neues zu entdecken.
EG und 1. OG enthalten Läden und Gewerbe mit Ladenfront. Der Wohnbereich hat oft Zimmer aufs Treppenhaus, das zum Wohnraum gehörte, mit der Feuerwand des Kachelofens. Jede Wohnung unterscheidet sich nach Lage, Etage und Innengestaltung des Hauses. Nachteile können sein: verwinkelte Grundrisse, kleine Zimmer, schräge Böden, Nasszellen im unteren Stock, Waschmaschine im Treppenhaus, schmale Hausgänge, Abstellraum im 1.OG, kein Keller, kein Veloraum. Die Aussicht geht auf die benachbarte Dächerlandschaft, selten auf ein Panorama mit den drei Stadtkirchen. Untere Stockwerke sehen über die Gasse auf die Nachbarhäuser; man ist oft zu Fuss auf Gassen, Plätzen, Grünanlagen, Uferpromenaden unterwegs, mit Begegnungen, Anregungen, Konflikten zum Lösen. Oder man kann unerkannt um die Ecke gehen.

Ist das bloss Romantisierung?
Die Häuser sind nachhaltig: die meisten Häuser sind auf zwei oder drei Seiten angebaut, wo die dicken Bollenstein/Mörtelmauern gut isolieren. Einige haben eine natürliche Lüftung durch Oberlicht der Haustüre-Treppenhaus-Dachluke. Je nach Lage wirken die Luftströmung der Limmat, die Thermik und eine Sommerbise als natürliche Klimaanlage. Im Hochsommer ist es in den schattigen Gassen angenehm. Bei geschlossenen Fensterläden und minimem Lüftungsspalt haben wir 6 Grad unter Aussentemperatur erzielt. Für den Schutz vor Hitze sind hell bemalte Fensterläden vorteilhaft. Die Häuser stehen seit Jahrhunderten. Generationen passten sich an ihre Einschränkungen an – statt dass jede Generation neue Häuser baute und die alten abbrach. Errichtet und unterhalten wurden sie mit hochwertigen natürlichen Baumaterialien: bei uns Mauern und Eichenbalken von 1589, Tannentäfer ca. 1740, Fassadenrauverputz aus den 1920er-Jahren, uralte Fenster aus Lärchenholz, 1986 nach Mass ersetzt.
Die Häuser halten fit. Wenn wir unsere Einkäufe zu Fuss heimbringen und sie in die Wohnung im 4. Stock die Treppen hinauf tragen, leben wir länger, denn wir marschieren. Leben und Arbeiten in der Stadt mit dem Arbeitsweg zu Fuss reduziert das Pendeln. Hinauspendeln ist angenehmer. Lebensmittelpunkt/Arbeit in der Stadt, für Freizeit in die Natur als Konzept?
Auf dem Weg ins Primarschulhaus Schanzengraben (1876 erbaut) galt es, Bahnhofstrasse, Talacker und Talstrasse mit Auto- und Tramverkehr zu überqueren. Die Mutter zeigte mir, wie sich im verkehrsreichen City-Quartier zu bewegen. Ich ging über die St. Peterhofstatt mit der grossen Linde an Lädeli vorbei um den Strohhof (1589) und den Augustinerhof mit dem beliebten katholischen Studentenfoyer. Wenns eilte, gings heimlich über die verbotene Abkürzung durchs Restaurant und den Biergarten. Ich passierte den Ex Libris, St. Peterstrasse und Bärengasse und erreichte das Schulhaus über den Basteiplatz. Den zieren heute die Bärengasse-Häuser (um 1680; 1972 für die Erweiterung des Bankvereins verschoben) und die Baustelle für «Cool City»: die Seewasser-Heizung/-Kühlung der City und Altstadt links der Limmat ab 2039.

Erste Hochhäuser
Vom Pausenplatz verfolgten wir den Bau des Hochhauses «zur Bastei» (1955), das erste in der Innenstadt, ein Designklassiker. Am Flussufer lässt es Freiraum für den Fussgängerbereich. Eine gute Wohnlage neben den Basteiwohnhäusern! Betroffen waren wir von der Baustelle direkt vor dem Schulhaus fürs Hochhaus «zur Schanze» (1962), mit Arztpraxen, Zufahrt, Annexbauten, Rooftop-Bar, ohne Freifläche. Jenseits des Schanzengrabens dominiert seit 1989 das grosse Büro-Hochhaus «zur Schanzenbrücke». Dagegen erhob sich Widerstand: nach einer Petition des Heimatschutzes 1981 gegen das Bauprojekt der Bankgesellschaft wurde 1984 die «Initiative gegen Hochhäuser in der Innenstadt» aus Kreisen des Einwohnervereins angenommen. Der umstrittene Bau wurde dennoch ausgeführt.
Das Hochhausverbot kam 1991 in die kantonale Bauordnung. Das Schulhaus der Quartiere Lindenhof und City ist nun von drei Hochhäusern umgeben, inmitten von Blockrandbauten an der Selnaustrasse vor der grünen Uferzone bis zum Hallenbad (1941). Im Schulhaus sind Kindergarten, erste bis sechste Klasse und Hort mit 200 Schülerinnen und Schülern an einem Ort.

Aufwertung der Altstadt
1973 begann die Aufwertung der Altstadt mit dem Neubau der Rathausbrücke, darauf (inklusive Weinplatz) die erste Fussgängerzone und Verkaufsstände. 1974 wurde das Parkhaus Urania mit der Grünanlage darüber eröffnet, 1975 das spiralförmige Parkhaus Jelmoli. 1975 erstrahlte die renovierte Kirche St. Peter von 1705 im originalen Blau ihrer Fassade. 1976 öffneten die Schanzengrabenpromenade vom Bürkliplatz zur Gessneralle und der Park im alten Botanischen Garten.
Hausbesitzer renovierten nun mit der Denkmalpflege historisch getreuer. Am Haus «Zum weissen Fräulein» an der Strehlgasse 16 mussten 1970/71 Fussböden und Balkendecken erhalten bleiben; die Fassade wurde mit Fenstersimsen und Sprossen erneuert. Signalwirkung entfaltete die Renovation des Hauses «zur hohen Eich» an der Spiegelgasse 13. Alfred Sulzer hatte vom drohenden Abbruch erfahren und die Familie von Jakob Karl Burckhardt, Schulratspräsident der ETH, darauf aufmerksam gemacht. Seine Gattin Lucie hatte auf der Diplomatenstation Rom das Wohnen in der Innenstadt schätzen gelernt. Die Familien Alfred Sulzer und Jakob Karl Burckhardt erwarben 1972 das in verschiedenen Epochen erweiterte Haus und renovierten es bis 1976. Mit der Denkmalpflege gab es «e grosses Gschiss mit de Farbe». Erst das Farbkonzept des Malers Gottfried Honegger (abgestufte Rot-Töne) wurde von Dieter Nievergelt akzeptiert. Seither war die Zusammenarbeit gut. Die farbige Fassade strahlt eine freundliche Atmosphäre auf das Leuenplätzli aus. Seit 1979 überrascht uns an der Storchengasse 13 die Farbenpracht der restaurierten Ladenfassade am Haus «zum Tor».

Peter Dudzik

Unser Gastschreiber
Peter Dudzik (1946) ist an der Strehlgasse 7 in der Altstadt aufgewachsen. An der Kantonsschule Enge erlangte er 1966 die Handelsmatur und studierte Wirtschaftsgeschichte an der Uni, mit Abschluss 1971. Danach vier Jahre Assistenz, Dissertation 1981 (Druck 1986). Er unterrichtete 1973 bis 1982 als Lehrbeauftragter an der Kanti Enge, an der KME und an der Dolmetscherschule, war 1984 bis 1988 Leiter Schulung/PR der Maschinenfabrik Rieter und leitete bis 1994 die Schweizerische Reisefachschule Aarau. Anschliessend wirkte er als Berater Risikoanalysen für Swiss Re und war wissenschaftlich tätig.
Er ist Vater von vier Kindern und lebt mit seiner Partnerin in Thalwil. Er war 1975 bis 1980 der erste Präsident des Einwohnervereins Altstadt links der Limmat.