Das Leben als Familie

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Unser Gastschreiber Sebastian Honegger lebt mit seiner Familie in der Altstadt und geht der Frage nach, wie es sich mit Kindern inmitten der Stadt lebt.

Seit bald 15 Jahren dürfen wir dieses wunderschöne Quartier, wo andere shoppen und Sightseeing machen, unser Zuhause nennen. Im Studium war es neben der Nähe zu Uni und ETH vor allem das pulsierende Leben, das uns hier so zugesagt hat. Seit acht Jahren wissen wir: Es ist auch der beste Ort, um Kinder grosszuziehen. 

Die «Grossstadt» Zürich verbinden viele mit Anonymität. Hier im Dörfli sind wir davon weit entfernt und geniessen die starke Quartiergemeinschaft. Gern erinnern wir uns an die erste selbständige Einkaufstour unserer Jüngsten: Zweimal ums Eck, keine 150 Meter waren es von unserer damaligen Wohnung bis zum Lebensmittelladen von Mabilio Ramos. Die beiden Fünfliber sind den Dreijährigen sicher zehnmal aus der Hand gefallen, für das eine oder andere Schwätzchen mit Kindern, Eltern und Grosseltern aus dem Quartier hat es aber allemal gereicht. Und wir Eltern haben sicher vier SMS erhalten, man habe gerade unsere Mädels beim Einkaufen gesehen. Die autofreien Gassen und das Wissen, bei jedem Gang vor die Tür Freunden und Bekannten zu begegnen, ermöglichen es den Kindern, sich bereits sehr früh frei im Quartier zu bewegen. 

Neben der Kleinräumigkeit, die dazu führt, dass man sich schnell kennt und Bekanntschaft schliesst («Sali! Wohneder au i de Altstadt?»), tragen auch die Vereine der Altstadt wesentlich zum Gemeinschaftsgefühl bei. Für uns als Familie sind vor allem der Elternverein, der Quartierverein und das Altstadthaus zentral. 


Quartiertreff

Das Altstadthaus ist ein zentraler Treffpunkt in der Altstadt. Besonders beliebt bei unseren Kindern ist die Krimskrams-Werkstatt am Mittwochnachmittag und das Kerzenziehen in der Vorweihnachtszeit. Besonders schön war letztes Jahr die gemeinsam entwickelte Weihnachtsgeschichte im Rahmen des Adventsfensters: Das «Improtheater» unter Martina Schützes Leitung erfreute das Publikum und die schauspielernden Kinder gleichermassen. Ein weiterer Höhepunkt für unsere Kinder ist der Fasnachtsumzug, der jedes Jahr in der Altstadt stattfindet. 


Wichtige Vereine

Auch der Quartierverein spielt eine zentrale Rolle. Besonders das Neumarktfest, das jährlich Ende August stattfindende Quartierfest, ist ein Highlight für Gross und Klein. An verschiedenen Ständen werden am Nachmittag Nägel in Regenbogenfarben bemalt, Schätze aus der heimischen Küche feilgeboten und Spiele organisiert. An den Frühlingsanlass in der Frauenbadi, in der Barfussbar, den ebenfalls der Quartierverein mit verantwortet, haben wir es leider noch nie geschafft. Aber auch unsere Kinder werden älter, sodass es hoffentlich bald einmal klappt. 

Der Elternverein der Altstadt organisiert Anlässe wie den Räbeliechtli­umzug, das Trittliwiesenfest, den Samichlaus usw., lauter Fixpunkte in der Agenda, die wir auf keinen Fall missen wollen. Auch die Trittliwiese – eine Oase inmitten der Altstadt – verwaltet der Elternverein. 


Enge Platzverhältnisse

Die Altstadt ist eng. Der schöne Teil davon sind die malerischen Gassen und die windschiefen Dächer. Eng ist es aber auch in den meisten Wohnungen. Fast allen Familien, die wir kennen, fehlen Quadratmeter oder Zimmer. Dafür liegt alles, was man braucht, quasi vor der Haustür. Sport und Kultur sind mit dem Velo oder wenigen ÖV-Stationen erreichbar, das Angebot scheint unendlich. Und die Kinder zum Spielen vor die Tür schicken zu können, fühlt sich noch immer ein bisschen an wie Bullerbü.


An heissen Nachmittagen…

So schön, dass es fast schon kitschig ist, ist es, wenn die Weihnachtsbeleuchtung an ist. Doch auch ausserhalb der Weihnachtszeit geniessen wir es sehr, im schönsten Quartier der Stadt zu wohnen. Sie verlieren ihren Reiz wohl nie, die kleinen Gassen, das Kopfsteinpflaster und die historischen Brunnen. 

Letztere seien im kleinstädtischen Gassenleben längst vergangener Zeiten ein Ort der Geselligkeit gewesen, schreibt die Stadt Zürich in ihrem «Brunnenguide Kreis 1». Widersprechen müssen wir nur der Vergangenheitsform. Auch heute noch sind die Brunnen der Altstadt der «Place to be» für kleine und grosse Wasserratten. Wenn es an heissen Nachmittagen nicht mehr bis ins Tiefenbrunnen oder Mythenquai reicht, bieten die Brunnen die heiss ersehnte Abkühlung. Manche spontan in Unterhosen, andere ausgerüstet mit Flossen und Taucherbrille. 

Mittlerweile wohnen wir zwar ganz am Rand dieses Quartiers, sind uns aber sicher: Hier bleiben wir. 


Sebastian Honegger



Unser Gastschreiber

Sebastian Honegger (1986) ist in Zürich aufgewachsen und absolvierte eine Lehre als Automatiker bei der ABB, anschliessend erlangte er die Erwachsenen-Matura an der KME. 2011 begann er das Physikstudium an der ETH, das er 2015 mit einem Bachelor abschloss. Er arbeitete ein Jahr in München, seit 2020 Anstellung beim Kanton als Projektleiter Digitalisierung. Schon als Kind und bis 2010 betrieb er die Sportart Trial (Velo) auf höchstem Niveau; er war zehn Jahre in der Nati und nahm an Weltmeisterschaften teil. (Die besten Resultate waren eine Bronzemedaille an der WM 2004 im Team und ein 6. Rang in der Elite 2009.) 2011 zog er in die Altstadt, wo er mit seiner Frau Olga und den drei Kindern bis heute lebt. Er ist Präsident des Trägervereins Altstadthaus und in der Zunft Oberstrass. Und er treibt Sport: Rudern, Joggen, Velofahren.


Foto: EM