Balkenprobe, auf eigene Gefahr

Das Traditionslokal «Oepfelchammer» ist 1801 erstmals als Weinwirtschaft dokumentiert. Nach ein paar Wochen Auszeit ist es jetzt wieder offen. Renoviert, aber immer noch wie früher. Stichwort: Gut essen im Baudenkmal! Ein besonderer Tipp für Besucherinnen und Besucher!
Das Quartier könnte historischer, altzürcherischer nicht sein. Die Kirche St. Peter zeigt seit 1366 die Zeit an, es ist die älteste öffentliche Uhr in der Schweiz. Die «Oepfelchammer», «Oeli» genannt, ist wesentlich jünger. Ihren Namen verdankt sie dem ehemaligen Beginenkloster St. Verena. Die Nonnen lagerten im über 650 Jahre alten Gebäude Äpfel zum Dörren. Einen Lift gibt es nicht, rollstuhlgängig ist die «Oepfelchammer» auch nicht.
Die Grosseltern des jetzigen Eigentümers Andreas Himstedt kauften die denkmalgeschützte «Opfelchammer» 1955. Jahrhundertelang war das «Zum Judenhut» genannte Gebäude ein Wohnhaus gewesen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bis in die 1890er-Jahre wurde in der «Opfelchammer» eine Bäckerei betrieben, bekannt für ihre Böllewähe.
Wieder in der Familie
Ab 1995 wirtete in der «Oeli» Himstedts Mutter mit Hilfe seines Vaters und seiner Schwester. 2019 übergab die Familie den Betrieb an drei Pächter. Diese erklärten vor ein paar Monaten den Konkurs, es stand in allen Zeitungen. Wie immer hat der Erfolg viele Väter, der Misserfolg jedoch ist ein Waisenkind. Die einen schieben es auf die Miete und die hohen Personalkosten, die anderen auf Corona.
Nun ist im originellen Altstadthaus die Zeitenwende angebrochen: Andreas Himstedt, bisher vor allem als selbständiger Vermögensverwalter bekannt, hat die Regie übernommen, «weil es ein Herzensanliegen ist».
Diskret und stilvoll ist erneuert worden. Zum Zeichen der Erneuerung prangt ein neues Logo. Das grosse O mit Blatt und E ist eine gute, weil unverwechselbare Marke. Die getäferte Gaststube wird mit modern geschwungenen, aber ausgesprochen passenden Leuchtkörpern erhellt. Das obere Säli schwelgt in einem warmen Senfgelb.
Der berühmte Balken in der Weinstube, den schon der im Quartier ansässige Gottfried Keller (1819-1890) kannte, belohnt nach wie vor die erfolgreichen Athleten mit einem unauslöschlichen, weil eingekerbten Eintrag in Tisch oder Wand: Wer es schafft, auf den Balken zu steigen und kopfüber ein Glas Wein zu trinken, darf sich verewigen und seine Heldentat später den staunenden Enkeln schildern.
Kellers regelmässige Trinkkumpanen wählten die Diretissima: der Maler Rudolf Koller («Gotthardpost») und Arnoli Böckli. Ein Witzwort fragte, ob da jeweils der Keller über den Koller geböckelt, der Böckli über den Koller gekellert oder gar der Böckli über den Keller gekollert sei… Ab 18 Uhr herrscht in der «Oeli» – also in der Weinstube, nicht aber im Restaurant – Weinzwang.
Kalbshackbraten, schmackhaft
Aus der Küche kommt kein Markbein mehr. Dort kocht jetzt Karim Schumann, der zuvor im «Helvetia» und im «Münsterhof» 14 Gault-Millau-Punkte gesammelt hatte. (Chef de Service ist Marco, der schon bei der früheren Crew dabei war.) Jedes der Gerichte, die wir zu viert genossen, war sorgfältig gekocht und apart angerichtet. Der gratinierte Ziegenkäse mit Friséesalat an Honig-Trüffel-Marinade und Speck (Fr. 18.–) war eine Delikatesse, das handgeschnittene Rindstatar auf Rösti mit Pilz-Mayo, Kräutersalat und Trüffelvinaigrette (Fr. 25.–) ebenfalls.
Schumanns Hit ist sein Kalbshackbraten mit Jus, Kartoffelstock, Apfelperlen und einem Rüebli (Fr. 38.50): eine wirklich ungewöhnlich schmackhafte und originelle Alternative zum klassischen Zürcher Geschnetzelten mit Rösti (Fr. 48.–). Nicht nur unseren Freund, den Vegetarier, begeisterte der geschmorte und gegrillte Blumenkohl unter einer Kräuter-Linsenkruste, mit Tomaten-Gewürzsud und Couscous mit Salzzitrone (Fr. 32.–). Mittags stehen drei Menüs bis zu 35 Franken zur Auswahl, eines ist vegetarisch.
Anständige Preise auch für Wein
Der Lattenberger Räuschling, den wir als Tischwein wählten, kostete 8.80 pro Glas (und 56.50 pro Flasche). Es gibt auch den Pinot Noir «Heilige Verena» (58 Franken die Flasche, 8.90 ein Glas)… Die Weinpreise sind für Zürich erfreulich gastfreundlich.
Am Freitagabend unseres Besuches war die «Oeli» voll besetzt. Der Service war ausgesprochen freundlich und zuvorkommend; wir haben nachträglich gestaunt, als uns die ausgesprochen tüchtige und nette Service-Fachkraft verriet, es sei ihr erster Abend in der «Oepfelchammer» gewesen. Man hätte es nicht gemerkt!
Esther Scheidegger
Restaurant «Opfelchammer», Rindermarkt 12, 8001 Zürich, www.oepfelchammer.ch, Tel. 044 251 23 36. Geöffnet Dienstag bis Samstag 11.30 bis 24 Uhr.