Permafrust

Der Stadtwanderer gerät ob der Klimaerwärmung ins positive Resignieren – und wünscht sich Raymond Praktischs Erfindergeist zurück.

Lieber Strandläufer

«Seis drum, die globale Erwärmung wirds schon richten», schreibst du, lieber Strandläufer. Das ist ein monumentaler, starker Satz, der in alle Schulbücher gehört. Die Überschrift dazu lautet: Vom positiven Resignieren oder der fröhliche Fatalismus. Man muss das Übel als Chance sehen, zu irgend etwas wird ja auch die globale Erwärmung gut sein. So wie mein Primarlehrer Willy Neuenschwander zu sagen pflegte: Kein Buch ist so schlecht, dass seine Lektüre dem Leser nicht wenigstens den Erkenntnisgewinn bringt, dass es schlecht ist.
Wen das Reden übers Wetter langweilt, dem hilft ein Gespräch über das Klima weiter. Also, wofür ist die Erwärmung gut? Für unser Selbstwertgefühl, mein Lieber. Wir werden eben nicht einknicken und warten, was passiert, nein, wir handeln! Glaubst du denn, wir würden einfach die Hände in den Schoss legen und das Klima machen lassen? Oh nein, auf die Herausforderung Hochwasser, Permafrust und Gletscherschwund antworten wir mit Kunstbauten. Herrliche Zeiten für die Tiefbauer ziehen herauf. Dämme, kilometerlang und turmhoch werden wir bauen, ökologisch klug berechnete Ausgleichsbecken anlegen, zündholzschachtelgrosse Faltboote erfinden, kurz, unser neues Zauberwort wird «floodproof» heissen. Die Garagisten freuen sich schon jetzt aufs Montieren der Amphi-Kits, Wasserski wird Volkssport. Mag die Zukunft auch nass sein, wir werden sie technisch überwinden. Du merkst: Leider ist der Diplomingenieur Raymond Praktisch eine Erfindergeneration zu früh von uns gegangen. Und denk an die vielen schönen Stützmauern, die es braucht, die Berge oben zu halten. Die Permamauern sind des Bauunternehmers Lust. – Auch die Gletscher bieten Möglichkeiten.
Wir haben ja schon die ersten Schritte in die richtige Richtung gemacht und das Abdeckverfahren eingeführt. Bald schon werden wir ein eidgenössisches Gletschergesetz (GlG) haben und sobald das Bundesgeld fliesst, wird grossräumig abgedeckt. Geplant selbstverständlich. Da es leider nicht möglich sein wird, alle Schneeberge im Sommer einzupacken, wird man nach touristischen Grundsätzen vorgehen. Berge, oder genauer deren Teile, die von Fünfsternaussichtspunkten aus sichtbar sind, haben Priorität: So die Jungfrau von Interlaken aus, oder das Vrenelisgärtli vom Üetliberg gesehen. Das Matterhorn von Norden, der Mont Blanc aus Genfersicht. Viersternaussichten kriegen auch Bundesgeld, nur weniger. Regionalpolitische Rücksichtnahme ist nichts als lebendiger Föderalismus. Dafür gibt es einen Ausgleichstopf, aus dem sich bedienen darf, wer über 1550 Metern Abdecker ist. (Allerdings steht es ihnen frei, das Geld auch für Schneekanonen einzusetzen.) Wenn man sich auf den richtigen Standpunkt stellt, wird die global erwärmte Schweiz noch genau so aussehen wie die abgekühlte vorher. Du siehst, wir werden die globale Chance nützen, nichts da von deiner heitern Resignation. Wir sinds, die es der Erwärmung richten!
Mit tapferem Widerständlergruss

Dein Stadtwanderer