Im «Radium» ist das Licht aus

Der langsame Niedergang des einst stolzen Kinos Radium ist gestoppt. Ende Juni ist im ältesten Kino der Schweiz für immer das Licht ausgegangen.

Es war ja ein Abschied auf Raten. Das im Jahr 1907 eröffnete Kino war einer der ersten «Kinematographen» in Zürich und in der Schweiz (und seit langem das älteste noch bestehende Kino weit und breit). Damals waren die Bilder noch stumm. Wurde zur Untermalung eines Rennfilms auch schon mal ein Motorrad im Saal dröhnend laufen gelassen. Zwischendurch wurden in der «Revolverküche» bereits früher schon mal aus heutiger Sicht brave Sexfilme gezeigt. Dann kam die Zeit, als hier das städtische Filmpodium gastierte. Danach folgten die beliebten vorwiegend französischen Retrospektiven, unvergesslich bleiben die Jacques-Tati-Filme.
In schwieriger werdendem Umfeld diente das Kino in der Folge noch als Nachspielstätte für Filme der Commercio-Movie-Gruppe – heute Arthouse-Kinos – wie gegenwärtig das Kino Uto. Besonders lukrativ war das natürlich nicht, sodass es 1994 zur Schliessung des Kinos mit «normaler» Programmierung kam. Fortan und bis Ende Juni dieses Jahres flimmerten hier Sexfilme über die Leinwand, dazu standen mehrere Einzelvideokabinen zur Verfügung.
Seit einigen Jahren ist Dieter Jenny, Inhaber der Verit Verwaltungs- und Immobilien-Gesellschaft, der Hauseigentümer. Das Haus benötigt dringend eine Renovation, es ist auf der einen Seite abgesunken, Risse im Mauerwerk und durchhängende Balken verheissen nichts Gutes. Im Zuge der Planungsarbeiten wollte Dieter Jenny seine erklärte Absicht, im Haus nach dem Umbau wieder ein Kino einzurichten, konkretisieren. Er nahm Kontakt auf mit den Betreibern der Arthouse-Kinos, mit dem Institut für Filmwissenschaft der Uni, mit der Präsidialabteilung, die für das städtische Filmpodium zuständig ist. «Alle haben abgewinkt», erklärte Jenny. Ein langer, schmaler Raum dieser Grösse sei für den Betrieb eines Kinos denkbar ungeeignet, so lautete der Tenor, und ein kostendeckender Betrieb nicht möglich. Nicht einmal die bisherigen Betreiber mochten nach dem Umbau ihren Mietvertrag erneuern.
Was Jenny heute vorschwebt, ist eine «kinonahe» Nutzung. Als Filmfreund möchte er die alten Projektoren etc. wenigstens als dekoratives Element einsetzen. Er könnte sich eine Film-Bar vorstellen, beispielsweise. Doch spruchreif sei noch nichts.
Zunächst musste der Vertrag mit Archäologie und Denkmalpflege ausgearbeitet werden. «In diesem Haus steht so ziemlich alles unter Denkmalschutz», führte Jenny weiter aus. Immerhin dürfe man einen Lift einbauen, der gleichzeitig das Haus stabilisieren wird.
«1357 Brentschinkenhaus» steht an der Fassade, und «Seit 1637 Zur schwarzen Stege». Im zweiten Obergeschoss, über dem heutigen Kino also, ist übrigens im Treppenhaus über dem Türsturz des Abtritts (heute mit Wasserspülung) ein Steinmetzzeichen eingemeisselt mit der Jahreszahl 1606. Auf dieser Etage ist eine grosse Wohnung, im dritten und vierten Stock sind je zwei Wohnungen geplant.
Die Bauausschreibung erfolgte am 2. Juli, der Umbau wird mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen.

Elmar Melliger