Ausgrabungen am Obergericht

Zurzeit ist ein neunköpfiges Team der Kantonsarchäologie mit den Ausgrabungen auf dem Gelände neben dem Obergericht beschäftigt. Das GZ Altstadthaus organisierte eine öffentliche Führung durch Haus und Grabungszelt.

Über dreissig Personen haben sich an einem Abend Mitte Januar vor dem Obergericht eingefunden, frostig kalt ist es, man reibt sich die Hände und tritt sich die Füsse warm. Pünktlich um 18 Uhr werden wir zum Glück hereingebeten, die Archäologinnen Gabi Meier und Rahel Göldi halten die Türe offen, bis alle Interessierten Eingang gefunden haben, und man heisst uns herzlich willkommen. Wir werden in zwei Gruppen eingeteilt, und nachdem sich die unsere hinter den Geschworenenbänken oben zwischen Baustaub und Baugruben sicher positioniert hat, führt uns im Hauptsaal Gabi Meier, die wissenschaftliche Leiterin der Ausgrabungen, in die Geschichte des Areals ein.

Kloster im 13. Jahrhundert
«Das Franziskanerkloster, das einst hier stand, wurde gemäss Schriftquellen im Jahre 1240 gegründet. Die städtischen Räte hatten wahrscheinlich Land, Geld, Logistik und Baumaterial zur Verfügung gestellt.» Bis zu seiner Auflösung durch die Reformation im 16. Jahrhundert wurde immer wieder daran gewerkelt. Der ursprünglich romanische Bau wies deshalb schon bald auch gotische Elemente auf. Wie zum Beispiel die Kirchenfenster, die uns Gabi Meier in der aufgerissenen Mauer zeigt. «Es war für uns eine riesige Überraschung, dass wir noch auf eine der ursprünglichen Kirchenmauern stiessen und ein romanischer Fensterbau erkennbar war.» Wie wir erfahren werden, wartete noch eine zweite grosse Überraschung auf das kantonale Ausgrabungsteam.
Gabi Meier hält nun einen Situationsplan in die Runde und deutet auf einen mäandernden blauen Strich, den Wolfbach. Dass der damals durch das Klostergelände sprudelte, war sehr praktisch, denn so war die Frischwasserzufuhr stets gewährleistet – wenn auch die Mulde für damalige Bauverhältnisse eine Schwierigkeit war und der Wolfbach bei intensiven Regenfällen und während der Schneeschmelze für überschwemmte Keller und andere Unannehmlichkeiten sorgte. Der Wolfbach sei aber nicht als Abwasser sanitärer Anlagen benutzt worden, beantwortet Gabi Meier eine Frage aus der Zuhörerschaft, da hätten wohl das damalige Dominikanerkloster bei der heutigen Zentralbibliothek und manch andere keine Freude gehabt. Das mittelalterliche Zürich habe vornehmlich Fäkaliengruben gehabt, die dann und wann geleert wurden.

Das Aktientheater
Das Kloster verlief quer zur Obmannamtsgasse, wo nach der Reformation das Obmannamt eingerichtet wurde, das der Aufbewahrung und Verwaltung aller Klostergüter aus Getreidefeldern, Waldbeständen, Weingütern diente. Im 19. Jahrhundert wurde die Kirche verkauft und wich dem sogenannten Aktientheater mit ungefähr hundert Plätzen; dabei wurde aus dem Mönchschor der Bühnenbereich und aus dem Leutechor der Zuschauerraum. Dem Kulturzentrum wurde dann aber der Garaus gemacht, als in der Neujahrsnacht 1890 ein Brand das Theater bis auf die Grundmauern zerstörte. Als Ursache wird heute eine defekte Gaslampe vermutet. Gabi Meier lenkt unsere Aufmerksamkeit auf eine steinerne Einrichtung im Ausgrabungszelt, denn hier befinden wir uns inzwischen, und jetzt erfahren wir die zweite grosse Überraschung: «Das hier ist eine Umluftheizanlage, und damit konnte die Bühne auch in der Wintersaison und an kalten Tagen mit längeren Theaterstücken bespielt werden, ohne dass die Schauspieler oder die Zuschauer allzu sehr frieren mussten.» Wir nicken verständnisvoll. Neben der Umluftheizanlage dürfen wir uns noch weitere Ausgrabungsstücke ansehen. Dazu werden wir in die Büroräumlichkeiten im Gang nebenan geführt. Da sehen wir in einer Schachtel einen Haufen alter Knochen liegen, und aus einer anderen grinst uns ein Menschenschädel entgegen. Auf drei Fotografien werden uns die ausgehobenen Skelette gezeigt. Weitere Skelette liegen noch im Grabungsbereich zu unserer Linken. In den nächsten Tagen werden sie von der Anthropologin mit feinem Besteck freigelegt und auf Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Todesursache untersucht.

Grabstätten für Reiche
«Früher wurden nicht nur die Insassen, sondern auch Weltliche auf dem Klostergelände bestattet.» Denn mit einer solchen Grabstätte war man fürs Jenseits gut gerüstet. Dazu musste man nicht adelig sein, es reichte ein dickes Portemonnaie: «Je näher beim Altar, desto teurer der Platz.» Die Bestattung Weltlicher verhalf dem Bettelorden zu willkommenen Einkünften und trug zu seinem Wohlstand bei. «Diesem Kloster standen gewiss beträchtliche Summen zur Verfügung, denn die Steinmetzarbeiten im Kreuzgang können nur von hoch bezahlten Profis ausgeführt worden sein.» Den Kreuzgang, das Zentrum des Klosters, können wir uns zum Schluss auch noch anschauen. Er sieht nun im Schneegestöber besonders schön aus.

Nadia Ghidoli