Ein Fenster zur Welt

Die Gastschreiberin Sabine Ziegler ist auf der halben Welt zu Hause gewesen, spricht Basler Dialekt und sitzt im Zürcher Kantonsrat.

Das schmale Fenster war immer der Inbegriff Zürichs für mich. Als ich als kleiner Knopf nach Zürich reiste, besuchten wir Ingrid. Ingrid Hansen, «Hausa», wie sie Freunde nennen, hat 1965 ihr Juweliergeschäft am Neumarkt 13 eröffnet. Ingrid wuchs neben meiner Mutter in Riehen auf, und so ist die Beziehung der Cousinen eher schwesterlich. Dementsprechend waren die Treffen lang. Ich versteckte mich jeweils
im ebenerdigen Fensterchen und schaute, wer vorbeikam und erschreckte mit einem lauten Boo-hoo die Passanten. Im selben Jahr als
die Eröffnung war, erblickte ich die Welt und durfte das Vagabundenleben einer Auslandschweizerin antreten. Mein Vater, ein Erdölgeologe, zog die Familie in die Weite.

In der Ferne zu Haus
Nach Holland war die USA der nächste Stopp. Als ich eingeschult wurde, hat man meinen Eltern beigebracht, dass man zu Hause kein Deutsch sprechen soll, man sei jetzt in den USA, das freie Land. Sprache war die Bedingung der Integration. Die Begeisterung der Nachbarin war enorm, als ich mein erstes «englisches» Wort Kindergarten sagte.
Die Station Dhahran in Saudi-Arabien am Persischen Golf brachte eine Pionierstimmung in die Familie. Wochenende um Wochenende gingen wir mit dem Land Cruiser am Golf zelten und suchten entlang der alten Karawanenrouten nach Scherben früherer Kulturen. Ein Stück eines Glasarmreifs oder ein paar zusammenhängende Tonscherben liessen die Fantasien über die Händler aufkommen. Abends in der Sandwelt konnte der Fallwind entlang der sichelförmigen weissen Dünen tiefe Töne erzeugen. Das Phänomen der «Singing Dunes» war ein unheimlich schönes Erlebnis.
Der Mittlere Osten wurde intensiv bereist. Länder wie Iran und Libanon vor der Revolution resp. des Bürgerkriegs habe ich lieb gewonnen. Iran war der beliebte «Kulturstopp», wo man die Grösse der persischen Hochkultur erfuhr. Beirut war die Einkaufsstadt. So flog man jeweils schwer bepackt mit Lampenschirm, Weihnachtsbaum oder dem beliebten Fuake mustafasche (gezuckerte Früchte) in das Wüsteland zurück.

Politische Erfahrungen
Der Umzug nach London war eine Neugeburt. Plötzlich hätte ich, als Teenager, modisch und à jour mit den neusten Musiktrends sein sollen. Als Wüstenei verstand ich davon nichts. Ziemlich rasch wurde ich aber von der Freiheit Englands angesteckt und habe erste Schülerstreiks organisiert. Als ich 1984 die Schule abschloss, waren die rassistischen Spannungen hoch. Die Übergriffe gegenüber Immigranten aus früheren Kolonialländern füllten die Nachrichten. Die Brixton Riots waren Realität. Der Nordirland-Konflikt fand um die Ecke statt, als Erie Nieves, der Nordirland-Gesandte der Königin, einem Bombenattentat erlag. Er wohnte wenige Strassen von uns entfernt.
Der Wechsel in die Schweiz hat die Herausforderung der Sesshaftigkeit gebracht. Es war mir klar, dass ich in dieser Demokratie, die ich nur aus den Schulbüchern kannte, mir erlaubte meine Meinung zu äussern. Es war mir zudem klar, dass die Diskriminierungen, die ich erlebt und gesehen hatte, nicht das Umfeld waren, welches ich um mich haben will. Ich will eine offene und tolerante Schweiz.
An der ETH wurde ich aktiv und entwickelte mit Studienkollegen eine neue Studienrichtung – Umwelthygiene. Das Organisieren der Velodemos machte Freude und verlängerte das Studium. Eines meiner schönsten Polit-Erlebnisse im Kreis 1 war der Alpaufzug über die Rämistrasse mit Kuh, Ziegen und Alphornbläser für die Alpenintiative. Dass ich stundenlang im heissen Sommer 1999 in einem wattierten Maiskostüm Flyers für die Gen-Schutz-Initiative verteilen musste, hat mir gezeigt, was schweisstriefende Basisarbeit bedeutet.

Wurzeln geschlagen
Nach dem Studium habe ich für Mobility CarSharing Schweiz Auslandmärkte erschlossen. Heute sind noch Projekte in Holland, Deutschland, Frankreich und Italien am Laufen. Konfliktlösung hat mich schon immer fasziniert. So wurde ich Mediatorin für Grossgruppenprozesse und habe in Nord-Süd-Konflikten zu Ressourcennutzung geführt. Die letzten fünf Jahre führte ich die grösste schweizerische Friedensorganisation, Peace Brigades International, eine Menschenrechtsorganisation in fünf Ländern in Lateinamerika und Asien. Seit Dezember bin ich offen für Neues und heftig an der Produktionsleitung des Freilichtspiels «Feuer Flamme – Heldentod» zu Hans Waldmann, gespielt am ursprünglichen Austragungsort – auf der Burg Dübelstein, oberhalb Dübendorf.
Als Auslandschweizerin war es immer exotisch, in die Schweiz zu kommen und Stationäres kennenzulernen. Jetzt bin ich mehr als zwanzig Jahre hier und habe Wurzeln geschlagen und ich passe immer noch ins Fenster bei Ingrid. Wir diskutieren wie vor Jahren und der Esprit, den das Niederdorf hatte, ist noch da. Seit bald zehn Jahren darf ich als Kantonsrätin den Kreis 1 vertreten. Es sind nicht primär die Themen, die für die Innenstadt wichtig sind. Es ist der weltoffene Blick, das Andersartige und die Toleranz des Niederdorfs, was meine Heimat ausmacht. Ganz besonders gefällt es mir, dass die Auslandschweizerstimmen dem Kreis 1 zugeteilt werden. So bin ich doch noch ein bisschen mit meiner anderen Seite verbunden.

Sabine Ziegler

Unsere Gastschreiberin
Sabine Ziegler (43) wuchs als Weltenbummlerin in Holland, USA, Saudi-Arabien, England und Indien/ Nepal auf.
Seit 20 Jahren ist die Umweltnaturwissenschafterin ETH, Mediatorin und PR-Beraterin in der Schweiz wohnhaft.
Seit 13 Jahren hat sie ein politisches Mandat als Gemeinderätin respektive Kantonsrätin (seit 1999) inne. Ihre Themen sind Umwelt, Energie, Raumplanung und Verkehr.
Auch national hat sie einen Ruf als Menschenrechtsexpertin, in ihrer Funktion als Geschäftsführerin von Peace Brigades International und Mitglied des Steuerungsausschusses von KOFF (Kompetenzzentrum für Friedensförderung).
Ihre Leidenschaft ist Theaterspielen, Zeichnen und Töpfern. Sabine Ziegler wohnt am Stadelhofen und ist gespannt auf die Entwicklung der Platzgestaltung.