Mein Weg in die Altstadt

Unsere Gastschreiberin Myrtha Guggenbühl-Meile stammt aus dem Rheintal und ist inzwischen über etliche Stationen in der Altstadt angelangt, wo sie mit ihrer Familie wohnt.

Seit kurzem habe ich einen liebsten Weg; von unserer Wohnung an der Lindenhofstrasse über die Oetenbachgasse an die Schipfe hinunter, vorbei am Atelier von Willi Spiess, einem alten Freund, den ich immer wieder in seinem Atelier besuche, um über Mode, Kunst, Musik und manchmal auch einfach über Klatsch zu reden. Der Schipfe entlang geht der Weg dann weiter über die Gemüsebrücke und der Wühre entlang bis zur Meisen. Das ist die Zunft meines Mannes David. Er ist in Pfaffhausen aufgewachsen und ist Stadtzürcher Bürger. Ich bin ja keine Zürcherin und nehme diese Zunft nicht ganz so ernst. Aber ich lasse diese Herren in ihrer Herrenzunft so bleiben, wie sie sind.

Eine Rheintalerin
Geboren bin ich im St. Galler Rheintal, aber eigentlich bin ich nun schon länger in Zürich als ich im Rheintal war. Normalerweise machen «mör Rhyntaler» unsere Ausbildung in Zürich oder sonst wo im «Ausland» und kehren dann wieder zurück ins Rheintal. «Hom», wie wir im Rheintal sagen. Es gibt aber auch einige Rheinalter, die sind wie ich im Ausland geblieben, und so «verkommen» mir hier in Zürich immer wieder Rheintalergrinde. Keel, Kehl, Lüchinger, Zindel, Breitenmoser, Graf, Büchel; ich erkenne sie immer.
Von der Meisen spazier ich dann dem Stadthausquai entlang, vorbei an der Frauenbadi. Mein Mann meint dazu immer: «Warum ist die Frauenbadi an einem der schönsten Plätze von Zürich und die Mannebadi in einem Schattenloch am Schanzengraben?» Mir gefällts.

Annäherung an die Altstadt
Als ich vom Rheintal mit zwanzig Jahren nach Zürich kam, habe ich zuerst in Zürich Altstetten gewohnt und gearbeitet. Langsam habe ich mich dann bis in die Altstadt vorgearbeitet. Nach Altstetten wohnte ich am Limmatplatz, dann auf dem Zollikerberg, in einem alten Bauernhaus an der Wehrenbachhalde in Witikon, in einem «Adlerhorst» an der Freudenbergstrasse, in einer alten Villa am Zürichberg, im Rosenbühl beim Stadelhofen und dann, ich denke endlich, an der Lindenhofstrasse. Denn hier bin ich «angekommen» und hier möchte ich bleiben.
Am See vorne, beim Bürkliplatz, überquere ich dann die Strasse auf die Seeseite hinüber. Jedes Mal ärgere ich mich dabei über das Lichtsignal, das viel zu schnell von grün wieder auf rot wechselt und mich dazu zwingt, die Strasse in leichtem Trab zu überqueren.
Beim Bürkliplatz gehe ich dann rechts, in Richtung Schiffstation. Nicht direkt, ich laufe immer noch über den Steg dem Ufer entlang, nah dem Wasser, mit Blick auf den See hinaus, ins Wetter hinaus, und manchmal auch mit Blick in die Alpen. Seit mein Vater vor sieben Jahren gestorben ist, grüsse ich auch ihn vom Steg aus. Er war ein begeisterter Wanderer und ich frage mich auf dem kleinen Steg immer, ob er heute wohl «z’Berg» gegangen wäre.

Spontan ausgehen
Was mir übrigens auch so gefällt in der Altstadt: dass ich mich so quasi fast in letzter Minute entscheiden kann, ob ich ins Kino oder sonst an eine Veranstaltung gehen will. Ich kann die Wohnung quasi mit dem Gongschlag im Schauspielhaus verlassen und bin rechtzeitig zur Vorstellung dort (ich weiss, das stimmt nicht ganz, aber es fühlt sich mindestens so an). Es gefällt mir auch ungemein, nach der Veranstaltung durch die Stadt heim zu spazieren, wenn immer möglich der Limmat entlang zu gehen.
Nach dem Schiffsteg am Bürkliplatz überquere ich die Strasse beim General-Guisan-Quai und spaziere zum Schanzengraben. Dort haben mein Mann und ich vor fünf Jahren mit unserem «Bluetrail» angefangen, einem chinesischen Entspannungsparcours für den Alltag. Der Schanzengraben ist für mich eines der vielen kleinen Wunder von Zürich. Mitten im Stadtzentrum und doch so entrückt. Vor allem im Frühling ist er ein ganz zauberhafter Ort. Ich geh dann dem Schanzengraben entlang bis zur Bären-Brücke, vorbei auch am Pavillon vom Baur au Lac, wo man an den warmen Tagen diese «wichtsäckerischen» Hotelgäste sieht und immer dieses Gefühl von drinnen und draussen hat.
Beim Bären-Brücklein geh ich dann am Schulhaus Schanzengraben vorbei hinauf zur Bahnhofstrasse, dann ein kurzes Stück der Bahnhofstrasse entlang, rechts in die Sankt-Peter-Gasse und hinauf zum Rennweg.

Alles geht zu Fuss
Die Altstadt ist ja wie ein Dorf. Alle gehen zu Fuss und man läuft sich immer wieder über den Weg. Ich geniesse diese Art zu leben. Es motiviert mich.
Ich bin auch glücklich darüber, dass unsere vier Kinder hier in der Altstadt Fuss gefasst haben. Aileen, unsere älteste Tochter, die am Abend noch schnell auf den Lindenhof hinausgeht, um Freundinnen zu treffen. Allan, unser jüngster Sohn, der auf dem Schulweg noch Flynn und Dylan im Niederdorf abholt und auf dem Heimweg noch einen Stopp im «Bärenland» macht. Bruce, unser zweitjüngster Sohn, ist von allen Läden rundherum begeistert und kennt alle Aktionen. Und Duncan, unser ältester Sohn, der mit seinen Freunden auf der Polyterrasse noch etwas «abhängt».
Ich spaziere dann den Rennweg hinunter, seit er autofrei ist immer in der Mitte der Strasse. Als Mitglied der Grünen Partei freut es mich sehr, dass man den Fussgängern in Zürich immer mehr Platz gibt. Ich gehe dann rechts die Fortunagasse hinauf, zurück an die Lindenhofstrasse. Diese Fortunagasse ist ein bisschen meine Gasse. Fortuna steht für lateinisch «Glück», «Schicksal»; für die «Macht des Schicksals». Fortuna ist auch die Glücks- und Schicksalsgöttin der Römischen Mythologie.
Und hier in der Altstadt von Zürich hat mich meine Fortuna gefunden. Hier in der Altstadt von Zürich bin ich glücklich.

Myrtha Guggenbühl-Meile

Unsere Gastschreiberin
Myrtha Guggenbühl-Meile (1963)
ist in Rebstein im Rheintal aufgewachsen. Mit zwanzig kam die gelernte Schneiderin nach Zürich, wo sie die Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvierte und danach vier Jahre im GZ Riesbach arbeitete.
1993 gründete sie mit ihrem Mann David eine eigene Firma. In der Kommunikationsfabrik Zürich AG wirkt sie seither in verschiedenen Funktionen, seit anfangs Jahr als Geschäftsführerin.
Die Mutter von vier Kindern wohnt mit ihrer Familie seit bald fünf Jahren in der Altstadt. Sie ist im Vorstand des Einwohnervereins Altstadt links der Limmat und engagiert sich bei den Grünen.