Spiegelgasse ohne Udo

Zum Abschied von Udo Rennhofer (1946-2011)

Ende Oktober, an einem Samstagmorgen, ging ich die Spiegelgasse runter zum Antiquitätengeschäft von Udo Rennhofer, um ihm beim Auspacken des neuen Christbaumschmucks zu helfen. Udo war schwermütiger Stimmung und sagte geradeaus, schon beim Aufwachen habe er gedacht, er wäre lieber tot. Solche Gedanken offenbarte er nicht zum ersten Mal. Wer Udo Rennhofer näher kannte, wusste, dass er sich auf einem schmalen Grat zwischen Lebensfreude und Verzweiflung bewegte. Man bangte um ihn und hoffte, dass seine vitalen Charakterzüge (er war gesellig und freute sich an allen sinnlichen Genüssen) Oberhand behalten möchten. An diesem Samstag war das der Fall. Kurz nach Türöffnung füllte sich der Laden mit Kundschaft, die aufgeräumt plauderte und grosszügig einkaufte. Udo kam nicht mehr zur Ruhe, und am Abend war er glücklich. – Am 30. Januar 2011, ein Vierteljahr später, an einem Wochenende, hat sich Udo Rennhofer das Leben genommen. Der gute Geschäftsgang, das herzliche Verhältnis mit seinen Kunden und Nachbarn, die Beziehung zu seinem Freund M., all das konnte ihn nicht zurückhalten.
Udo Rennhofer kam 1946 in der österreichischen Provinz zur Welt. Eindringlich wusste er vom Brauchtum seiner Kindheit zu berichten und den Andachtsjodel aus der Weihnachtsmesse konnte er, dio-dio-diri, auswendig singen. Für den sensiblen und aufgeweckten Jungen muss es nicht leicht gewesen sein, im katholischen Österreich der Fünfzigerjahre heranzuwachsen und zu spüren, dass er Männer liebte. Mit sechzehn setzte er sich ab, zuerst Richtung Marokko und dann (nach einem Intermezzo bei der Fremdenlegion) nach Abidjan an die Elfenbeinküste, wo er jahrelang im Holzhandel tätig war. Wieder in Europa, bildete sich Udo Rennhofer zum Intensivpfleger aus und leitete ganze Stationen. Zu dieser Zeit lebte und arbeitete er in Basel und lernte seinen späteren langjährigen Lebenspartner Hansruedi Jent kennen. Dieser machte ihn mit Antiquitätenhandel und Innendekoration vertraut. Udo gab den Pflegeberuf auf und führte mit Hansruedi Jent den beliebten Antiquitätenladen an der Spiegelgasse 26. Oft war er auf der Gasse anzutreffen, wo er rauchte, oder einfach das Gesicht in die spärlich einfallenden Sonnenstrahlen hielt. Stets grüsste er freundlich und fragte nach dem Befinden.
Nach dem Tod von Hansruedi verlegte Udo im Frühling 2009 sein Geschäft über die Gasse in den Grimmenturm, wo vorher das Polsteratelier Sailer untergebracht war. Das imposante, sorgfältig restaurierte Lokal brachte Udos Angebot aufs Beste zur Geltung: Jahrhunderte alte Gläser, Möbel und Objekte aus aller Welt, Antikes und Modernes, gerne auch Opulentes und Rätselhaftes. Ein Renner waren die mit alten Kelims in herrlichen Farben bespannten Sofas und Sessel. Im Internet läuft noch immer ein Werbefilm über Udo und seinen Laden, aber auf der Homepage heisst es: Account gelöscht. – Udo fehlt, unwiderruflich, und der Gang durch die Spiegelgasse wird noch lange traurig stimmen.

Daniela Donati

Udo Rennhofer wird diesen Frühling neben seinem Lebenspartner Hansruedi Jent in Safenwil/AG beigesetzt.