«Nord-Süd» adieu!

Ende September schliesst das Kino Nord-Süd. Ein unverwechselbares Arthouse-Kino geht verloren. Ein Nachruf.

Ein Kino stirbt. Es ist nicht irgendeines. Nicht einmal das älteste, das war das «Radium» gewesen. Es ist schade, jammerschade, zum Heulen. Das «Studio Nord-Süd» eröffnete am 11. Oktober 1935 der Hauseigentümer Willy Boesiger, als Architekt ein Corbusier-Fan, zusammen mit seiner Kinodirektorin Anna Indermaur. Es war kein bombastischer Kinopalast, sondern das erste, sachlich neu erbaute Filmkunsttheater in Zürich, wie man damals den französischen Begriff Cinéma d’art et d’essay ins Deutsche übersetzte.

French Touch
Anna Indermaur (1894-1980) war eigentlich Bildhauerin gewesen, eine Tochter aus gutem Haus, die in Paris, wie damals in Künstlerkreisen üblich, ihr Leben unbürgerlich neu erfand. Sie trug Berets, sie rauchte. Als Premièrenfilm wählte sie «Toni» von Jean Renoir. Renoir hielt sie die Treue. Sein meisterlicher, von der deutschen wie von der französischen Kritik lange verfemter Klassiker «La Grande Illusion» (1937) mit Jean Gabin, Erich von Stroheim und Pierre Fresny lief im «Nord-Süd» fast ein Jahr.
Meine theoretische Education sentimentale fand, wie bei Heerscharen von Zürcherinnen und Zürchern jener Generationen, auf der Leinwand in diesem kleinen Kinoraum mit den 200 nicht sonderlich bequemen Sitzen statt. Keinen Truffaut (1932-1984) wollte man verpassen, schon gar nicht «Tirez sur le pianiste» mit Charles Aznavour, «Der Mann, der die Frauen liebte» (1977) und «Die letzte Métro» mit Gérard Depardieu und Fanny Ardant. Prägend ja schon die immer wieder konsultierte Zitatensammlung auf nachtblauem Grund an der Fassade zur Rössligasse hin, von Orson Welles, Jean Cocteau, Rainer Werner Fassbinder und Mae West: «We are intellectual opposites, I’m intellectual, you are opposite.» Und, von Federico Fellini: «L’unico vero realista è il visionario.» Tempi passati. All die «Contes Moraux» von Eric Rohmer (1920-2010), mit denen ich meinen Liebsten als Begleiter nachhaltig verstimmte und nervte. Doch wer wollte «Das grüne Leuchten» je vergessen?

Hoffentlich noch lange
Abschied von gestern! Verabschieden mussten wir uns ja, Schnitt, bereits vor ein paar Jahren von This Brunner, dem charismatischen künstlerischen Leiter der mittlerweile sieben (und nun eben nur noch sechs) Arthouse-Kinos, der sich aus der Kinowelt in die künstlerische Retraite zurückzog. Sein cineastischer Horizont reichte von Kurt Früh bis (mindestens) zum letzten Woody Allen. Der läuft derzeit im «Le Paris». Das uns hoffentlich noch lange erhalten bleibt.

Esther Scheidegger