Gurkensalat für James

Eines verlor einen Punkt, eines erhielt einen Punkt mehr. Die Bewertung der Gourmet-Lokale im Kreis 1 durch den aktuellen «Gault-Millau» Guide Schweiz.

Wer nie ein Restaurant führte oder quasi in einem aufgewachsen ist wie ich im Betrieb meiner Eltern, weiss nichts von der täglichen Hingabe, von Lust und Frust im Gastgewerbe. Und kann sich kaum vorstellen, wie das Erscheinen des neuen «Gault-Millau» nach innen wirkt. Jubel, wenn der Tester das eigene Lokal lobt, Tränen, wenn die Würdigung der Leidenschaft ausblieb, dem Gast das Beste aufzutischen. So werden die Mitarbeiter der 840 Restaurants, die im berühmten roten Buch aufgeführt sind, einer Kneipp-Kur der Gefühle ausgesetzt, deren Stressfaktor nicht zu unterschätzen ist.

Sünden, Haxen, Tennisbälle
Von den 50 Lokalen, die in Zürich aufgeführt werden, befinden sich 18 im Kreis 1. Neue sind keine hinzugekommen seit letztem Jahr, und warum etwa der «Storchen» nicht aufgeführt wird, weiss man nicht. Hier also die Parade dem Alphabet nach. 13 Punkte erhält die «Bärengasse», wo der Chef sagt: «Wir wollen unsere Fleischkompetenz unter Beweis stellen.» Fleischkompetenz? Was ist denn das? Über 16 statt 15 Punkte freut sich das «Pavillon» im Hotel «Baur au Lac»: «Laurent Eperon kocht sündhaft gut» – er lässt Kalbshaxen 36 Stunden lang schmoren. Im «Rive Gauche» (13) war dem Tester weniger das Essen als die Weinkarte ein dickes Lob wert.
14 Punkte erhielt das «Bianchi», es sei ein «Must go». Schöne 15 Punkte gabs für den «Florhof» – «eine Bereicherung für Zürich». Der Koch im «Heugümper» (13) überraschte den Tester mit einer grünen scharfen Chili-Sauce am Züri-Gschnätzlete: «Frech, aber lecker!» Der Koch der «Reblaube» (14) legte ein fast tennisballgrosses, gut gewürztes Hacktätschli in den Ring aus Kartoffelstock: «Ein Fest für Auge und Gaumen.» (Mir) Unbekanntes weiss der Tester der «Kronenhalle» (14): «Mittags steht beim Eingang zur Küche immer ein Topf mit Gurkensalat vor einem Foto von James Joyce.»

Caipirinha-Hostie, Rotkohl-Glacé
Im «Lindenhofkeller» (14) leckte sich der Gast die Finger ob einer «vorzüglichen» Macédoine mit Blutorangen-Campari-Sorbet und Semifreddo von Walnusskrokant mit Zwetschgenkompott. (Das sind jene Momente am Tisch, in denen mir der Mund blöd offen steht, weil ich nicht mehr weiss, was der Kellner gerade gesagt hat.) Der «Münsterhof» (15) legte dem verblüfften Tester als «Gruss aus der Küche» (wer hat den bloss erfunden?) gar eine Caipirinha-Hostie vor die Nase. Über das «Orsini» (14) meint der Gastro-Guide: «Essen und Service sind impeccabile.»
Im «Au Premier» (13) schmausten die Gäste gebratene Gänseleber mit Enten-Effiloché-Wantan. (Ich musste den Begriff nachschlagen. Effilocher bedeutet ausfransen, also wurde das Fleisch der Ente in Fäden gezupft.) Im «Haus zum Rüden» (13) klatschte der Tester beim Anblick des vollen Dessertwagens entzückt in die Hände. Das Zürcher Geschnetzelte in der «Soupière» im Hotel Schweizerhof (13) wird mit Nierli serviert, wie sich das gehört. Martin Surbeck «Sein» (17) wartet mit Atemberaubendem auf wie einer Rotkohlglacé mit einem Tüpfli Meerrettichglacé in Olivenöl. Dem «Tao’s» wurde ein Pünktlein weggenommen, es ist noch mit 13 statt 14 dabei, weil es seinen kulinarischen Ehrgeiz etwas zurückgefahren habe. 13 Punkte erhielt das «Zunfthaus zur Waag», in dessen grossartigen, getäferten Zunftsaal ein Maibock in Bärlauchkruste dem Tester mundete. Und 15 gabs für den «Widder» mit seinen Jakobsmuscheln mit unterschiedlichen Geschmackszusätzen: Zitronengras und Passionsfrucht, geröstete Mandeln und Himbeersalz samt Chili.
Kurz und gut: Die Diät kann warten.

René Ammann

Urs Heller (Hrsg.): Gault Millau Guide Schweiz 2012. Der Reiseführer für Gourmets. 840 Restaurants getestet, bewertet und kommentiert. Ringier Verlag, 580 Seiten, Fr. 39.90.