Froschwärts mit Bass

Unser Gastschreiber Herbert Kramis lebt in der Altstadt in einem Haus, dessen Wohnungen von der Stadt an Musikerinnen und Musiker vermietet werden.

Fast auf den Tag genau vor elf Jahren, am 24. (!) Dezember 2001, bin ich mit Sack und Bass an der Froschaugasse 20 in den fünften Stock hinauf gekeucht, direkt unters Dach, in die kleinste Einzimmerwohnung im Haus, mit tollem Blick über die Dächer der Zürcher Altstadt. Und habe mir hier langsam aber sicher ein neues Zuhause erwohnt. Ich meine auch und vor allem in dem Sinn ein neues Zuhause, dass ich so nach und nach immer wieder jemanden aus der ­Gasse kennengelernt habe: bald mal die Frau an der Kasse im Laden, den Sax- und Blechflicker, an seiner Werkbank oder im Sommer draussen am Aperitif mit Frau und Freunden, mal vor der einen, mal vor der anderen Beiz im allernächsten Umfeld. Den Goldschmied im eigenen Haus, den Sanitärmeister im traumhaft schönen, versteckten Innenhof hinter der blauen Tür der (Sack-) Steinbockgasse, den musikalischen Mathematiker daselbst, dem ich mal geholfen habe, sein Bett von der Froschaugasse in die Steinbockgasse zu schleppen, ihn so kennenlernend.

In Pantoffeldistanz
Ich bin zwar in meinem jetzigen ­Leben Musiker, spiele Kontrabass in verschiedensten Bands von Jazz bis zur freien Improvisation (hab grad kürzlich im Oktober mit «Billiger Bauer» im Theater am Neumarkt gespielt), vom Tango (am liebsten Tango Nuevo des grossartigen Astor Piazzolla), über Tanzmusik mit «BandaNova» und ihrem weltumspannenden Repertoire (wer am letzten Neumarktfest dabei war, hat einiges davon zu Ohren und in die Beine gekriegt, im strömenden Regen wurde getanzt, was für eine Freude!) über das Kontrabassduo «Freddy-Lukas» mit meiner Liebsten Jojo Kunz (mit ihr und Roli und Beni waren wir im letzten Adventskalender «BBBB» (steht für Büchel – Büchel – Bass – Bass) bis zu meiner neuen Band «Herbert Kramis’ Guadalcacin», deren Konzert im «Notenpunkt» an der Froschaugasse vielleicht der eine oder die ­andere LeserIn grad vor Wochenfrist erlebt hat. Dass sich für mich als freischaffender Musiker in quasi Pantoffeldistanz vom eigenen Heim so viele Auftrittsmöglichkeiten bieten, finde ich schlicht grandios!

Viele Handwerker
Aber ich habe vorgegriffen, wollte eigentlich sagen in meinem jetzigen Leben bin ich zwar Musiker, aber in einer Wagner- und Schreinerwerkstatt bin ich aufgewachsen, habe später eine Lehre als Industrie-Elektroniker hinter mich gebracht und danach zwei Jahre an einer Kunstschule neben Zeichnen und Malen viel Handwerk dazugelernt, vom Schweissen und Schmieden übers Holzbildhauen und Steinmetzen zum Ton­modellieren und Farbenmischen und will damit sagen, ich war – und bin es noch immer sehr gern – auch ein Handwerker. Und mag darum die ­Tatsache so sehr, dass wir hier in allernächster Umgebung derart viele Handwerker haben: Schreinereien – die für mich natürlich Heimatgefühle bedeuten – Möbelrestauratoren, eine Buchbinderin, Fotografen, Rahmenmacher, Kunstschmied, Goldschmiede (mit denen mich mein allererster Berufswunsch verbindet und die auch schon mehr als einmal für ­Krimi-Feeling gesorgt haben: nächt­liche Einbruchsversuche, die mich mit heftigsten dumpfen Schlägen geweckt haben und dazu gebracht, aus dem Fenster schreiend die Übeltäter in die Flucht zu schlagen und so zwar nicht die Scheibe aber wohl immerhin die Auslage rettend).
Nach meinen ersten Jahren unter dem Dach, oder eigentlich genauer teilweise gar über dem Dach – die Sicht auf die Froschaugasse war mir verwehrt, nur vom seitlichen Fenster zum Innenhof konnte ich einen kleinen Ausschnitt observieren – hat mein Nachbar unter mir beschlossen, eine Familie zu gründen und so hab ich Sack und Bass wieder gepackt und bin einen Stock tiefer gezogen. So einfach war Zügeln in meinem ­bisherigen Leben noch nie gewesen. Und ich hatte zwar jetzt eine weniger tolle Fernsicht – den Üetliberg und auf der anderen Seite ETH und Universität habe ich leider aus den Augen verloren –, aber dafür Sicht auf die Gasse gewonnen und das gab deutlich mehr das Gefühl, dazu zu ­gehören. Und ich hatte gute zehn Quadratmeter Wohnfläche gewonnen, was ein gewichtiger Vorteil ist, wenn man mit Kontrabässen unter ­einem Dach wohnt. Und den kleinen Brunnen gegenüber konnte ich jetzt hören, für mich ein schönes Geräusch zum Einschlafen.
Wir sind zwar ein Musikerhaus und also kann ich üben in meiner Wohnung, aber für das Proben mit meinen Bands mit Schlagzeug musste doch eine Dépendance her und die habe ich am Schaffhauserplatz gefunden, mittlerweile ein Ort, der auch dem ­einen und der anderen DörflibewohnerIn vertraut ist durch die «Laborkonzerte» mit «Müller-Kramis-Baschnagel», die in loser Regelmässigkeit den frühen Sonntagabend ein wenig verklären.

Und wieder ein Umzug
Und es kam der Tag, da hat wieder ­jemand aus dem Haus beschlossen wegzuziehen aus dieser Gasse, gar aus dieser Stadt. Und das war wieder ein Stock tiefer und erst noch auf der anderen Seite des Treppenhauses, was eben sehr bedeutungsvoll ist:
da sind die Zweizimmerwohnungen! Und also ein zweites Mal die rare Möglichkeit, beim Zügeln all den Hausrat nur ein Mal – und erst noch abwärts – anpacken zu müssen. Das musste einfach sein und wieder waren – diesmal sogar zwanzig! – Quadratmeter dazu gewonnen und so wohnte ich fortan im dritten Stock, zum Greifen nah die Prachtsterrässli und Terrassen unserer Nachbarn gegenüber und schräg unter mir das «Isebähnli», nur bisschen schräger gegenüber das «Madrid», frontal in unsere Gasse rein die «Lucy’s Bar». Das bringt Leut und Leben in die Gasse und ist oft schön zu sehen und zu hören, manchmal auch ein bisschen viel davon. Es ist deutlich lauter als im fünften Stock über dem Dachvorsprung.
Und doch, da bin ich geblieben und eines Tages ist mir auf dem Hirschenplatz im wahrsten Sinne des Wortes ein Kontrabass über den Weg gelaufen, ich kam mit der Besitzerin ins Gespräch, wie das sonst so unter Hundehaltern passiert. Das eine gab das andere und nach kaum einem halben Jahr war wieder eine Zügelei fällig und so waren und sinds vier in der Zweizimmerwohnung, zwei Menschen und zwei Kontrabässe. Und das ist schön und gut so, zwar träumen wir manchmal von einer ­Terrasse wie die vor unseren Nasen, aber so packen wir dann unser Frühstück und setzen uns damit auf den Landesteg der Limmatschiffe oder gegenüber neben der Schipfe 16 auf die Mauer direkt am Wasser, oder wenns nur kurz sein darf, auch öfters nur grad auf die Mauer direkt vor ­unserer Haustür. Da gibts dann oft ein kleines Gespräch mit Nachbarn aus dem Haus oder vorbeiziehenden DörflibewohnerInnen.
Es ist ein gutes Leben hier, wir ­möchten es nicht missen, erfreuen uns immer wieder daran, in der ­grössten Schweizer Stadt mitten im Zentrum in einem Dorf zu leben.

Herbert Kramis


Unser Gastschreiber
Herbert Kramis (1956) ist mit sechs Brüdern und einer Schwester in Hildisrieden (Kt. Luzern) aufgewachsen. Nach fünf Jahren Gymi absolvierte er eine Lehre als Elektroniker, danach zwei Jahre Kunstgewerbeschule und schliesslich die Swiss-Jazz-School Bern, die er nach sechs Jahren 1989 abschloss. Seither spielt der Berufsmusiker als Bassist in verschiedens­ten Bands, unterrichtet Kontrabass an der Musikschule Konservatorium Zürich und komponiert für seine Band «Herbert Kramis’ Guadalcacin». Seit 2001 wohnt er in der Altstadt – heute mit seiner Partnerin – im Musikerhaus an der Froschaugasse.