Von Wienern und Zürchern

Unsere Gastschreiberin Julia Brandstätter stammt aus Österreich, hat in Wien gelebt und ist heute in Zürich daheim. Sie stellt einige Vergleiche an.

Zürich hat keine Altstadt. Riesige Wolkenkratzer aus Glas und Beton dominieren das Stadtbild. Dazwischen tummeln sich schick gekleidete Banker. Eine Bohème gibt es nicht und auch keine hässlichen, in die Jahre gekommenen Wohnblöcke. Alles ist supermodern, so wie in Frankfurt, aber natürlich viel, viel reicher.
In etwa so habe ich mir Zürich vor­gestellt, als ich vor zehn Jahren ein E-Mail von einer grossen Zürcher Werbeagentur bekam: «Hallo Julia, ich bin auf der Suche nach einem ­Assistenten, der mich mit Award-Winning-Ideas bewirft.» «Kann ich auch nur für ein kurzes Praktikum kommen?», schrieb ich zurück. «Schön, da freuen wir uns!», antwortete der Oberboss persönlich. Das Wort «schön» gefiel mir. Die müssen nett sein. Also nichts wie hin.
«Wir können dir leider nichts bezahlen», empfing mich der nette Oberboss. Das war nicht gerade das, was ich als mittellose Wiener Studentin erwartete. Die Taufpatin meiner Mutter war zum Glück so lieb und hat mich für ein paar Wochen bei sich in Volketswil aufgenommen. «Es gibt ­also doch hässliche Wohnblöcke in Zürich», dachte ich.
Doch noch viel mehr überraschte mich das Zentrum: Anstelle von gläsernen Hochhäusern begrüssten mich schnuckelige, windschiefe Häuser mit bunten Fensterläden sowie ein tiefblauer See mitten in der Stadt. Und weil ich immer wieder höre, dass viele Zürcher von Wien auch kein rechtes Bild im Kopf haben, erläutere ich Ihnen hier ganz kurz die für mich grössten Unterschiede.

Kafi und Kaffeehaus
Was ich anfangs in Zürich am meisten vermisste, war ein richtiges Kaffeehaus. Eines mit abgewetzten Samt-Sitzbänken, rissigen Marmor-Tischplatten und vergilbten Vorhängen. Eines, das über Jahrzehnte nicht verändert wurde, weil schlicht das Geld dafür nie da war. In Wien gibt es noch unzählige davon. Meine Liebsten sind das «Café Jelinek», das «Café Hawelka» und das «Kleines Café».
Dann gibts noch viele klassische Kaffeehäuser, die trotz Renovationen kaum von ihrem ursprünglichen Charme eingebüsst haben, wie das «Café Sperl», das «Café Central» und die «K&K Hofzuckerbäckerei Demel» – das «Sprüngli» von Wien. Im «Demel» gibts die feinsten Mehlspeisen und sogar eine Backstube, durch deren Fenster Sie den kunstfertigen Zuckerbäckern zusehen können. Bemerkenswert sind auch die Praliné-Verpackungen mit Original-Designs aus der Jugendstilzeit und den Fünf­zigerjahren.
Aber keine Sorge: Demel-Pralinés sind zwar hübscher verpackt, doch die von Sprüngli schmecken mir viel besser.
Wird man in Zürcher Kafis gerne von «Hipstern» bedient, kümmert sich im Wiener Kaffeehaus der «Herr Ober», im weissen Hemd und mit Fliege, um Ihr leibliches Wohl. Wenn Sie Glück haben, werden Sie mit «Gnädige Frau» oder «Gnädiger Herr» angeredet. Das bedeutet aber nicht, dass Ihnen der Wiener Herr Ober freundlicher gesinnt ist als der Zürcher Szene-Kellner – auch wenn es sich vielleicht so anfühlt.

Dörflich und kaiserlich
Während Zürichs Altstadt von Handwerkern und einem einfachen Lebensstil geprägt ist, erzählt die Wiener Altstadt vom verschwenderischen Reichtum des längst untergegangenen Kaiserreichs. Die schnörkelig verzierten Häuser sehen aus wie in Paris, lediglich zwei Etagen niedriger. Das Schloss Schönbrunn ist eine verkleinerte Kopie von Versailles und sogar die alten S-Bahn-Stationen und der Zoo haben noch etwas vom kaiserlichen Charme. Auch kann man sich immer noch von Pferdegespannen, den sogenannten «Fiakern», durch die Altstadt kutschieren lassen. Dies ist vor allem wegen der tollen Geschichten der Kutschenfahrer sehr zu empfehlen.
Und allen, die sich einmal wie die Kaiserin Sissi fühlen möchten, empfehle ich eine Nacht im Hotel «Imperial», ein ehemaliges Palais, das wie ein Museum anmutet. Es kostet sogar nicht viel mehr als eine Nacht in einem besseren Hotel im Dörfli.

Bratwurst und Eitrige
Vor ein paar Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich mich einmal für eine Bratwurst anstellen und erst noch Fr. 7.50 dafür bezahlen würde. In Wien steht nämlich an jeder Ecke ein «Würs­telstand», wo man zu jeder ­Tages- und Nachtzeit günstig speisen und skurrile Bekanntschaften machen kann. Denn ganz egal ob Opernbesucher oder Obdachloser – am Wiener Würstelstand sind alle gleich. ­Besonders beliebt ist übrigens die «Käsekrainer», die wegen ihrer gelbflüssigen Käsefüllung auch «Eitrige» genannt wird. Eine Wurstkreation, die am Zürcher «Sternen-Grill», wo ich nun regelmässig in der Schlange anstehe, undenkbar wäre.

Stadthaus und Magistrat
Sieben Jahre ist es nun schon her, dass ich mich am Wiener Magistrat ab- und im Zürcher Stadthaus angemeldet habe. Mein erster Eindruck war höchst erfreulich: nicht nur wurde ich sehr freundlich empfangen und zügig bedient. Auch die Amtswege scheinen in Zürich um ein Vielfaches kürzer als in Wien. Immer wieder bin ich erstaunt, wenn ich meine benötigten Unterlagen bereits am nächsten Tag im Briefkasten finde. In meiner Heimat sind nämlich zwei bis drei Wochen Wartezeit überhaupt nicht ungewöhnlich.

Humor und Humor
Damit Sie sich eine Vorstellung von der etwas anderen Arbeitsmoral in österreichischen Ämtern machen können, suchen Sie doch auf Youtube nach «MA 2412», eine ORF-Comedy-Serie über das Magistrat für Weih­nachtsdekorationen. So erfahren Sie beiläufig auch noch etwas über den österreichischen Humor, der sich gänzlich vom Schweizerischen unterscheidet. Er ist selbstironisch, sar­kastisch und gerne negativ. Ein biss­chen wie der Britische, nur viel prolliger. Was den hiesigen Humor angeht, so hat mir ein lustiger Zürcher einmal erklärt, dass dieser den Zürchern vor circa fünfhundert Jahren vom Zwingli ausgetrieben worden ist.

Platz 1 und 2 im Städteranking
Elf Jahre lang habe ich in Wien, der Stadt mit der offiziell höchsten Lebensqualität gelebt, bevor ich mich bei meinem eingangs erwähnten Praktikum in meinen Liebsten verliebt habe. Mittlerweile ist seine Heimatstadt auch ein bisschen die meine geworden und natürlich auch die unseres kleinen Sohnes. In meinem persönlichen Städteranking ist Zürich die klare Nummer eins. Das liegt nicht nur an den herzigen Altstadtgässchen und am schönen See, sondern an all den lieben Menschen, die das Niederdorf für mich zu einem Zuhause machen. Und ja: Zürich hat nicht nur eine Altstadt – sondern ein grandioses Dörfli.

Julia Brandstätter

Unsere Gastschreiberin
Julia Brandstätter (1979) ist in Pusarnitz im österreichischen Kärnten aufgewachsen. Nach der Matura zog sie nach Wien, wo sie eine zweijährige Schule für Textildesign absolvierte und danach als Werbegestalterin arbeitete. Mit 24 nahm sie das Studium für Grafik und Werbung an der Uni für Angewandte Kunst auf, das sie 2008 mit Diplom abschloss.
Ein Praktikum führte sie 2006 nach Zürich, wohin sie 2008 der Liebe wegen gezogen ist und wo sie seither als Texterin bei einer Werbeagentur arbeitet.
Sie lebt mit ihrem Mann Simon Staub und dem 14-monatigen Max in der Altstadt.