Ein Fasan unter Palmen

Wie er das nur schafft? Seit 1985 wirtet Tony Navarro im Restaurant «Turm» am Napfplatz. Eine Würdigung.

Nach 30 Jahren im Geschäft sind die meisten Wirte entweder in Montecattini Terme und spülen ein halbes Jahr lang ihre Leber durch oder sie leben mit ihrer zweiten Frau auf Ibiza und machen Yoga. Aber doch nicht Tony Navarro, das Urgestein unter den Zürcher Wirten!
Auch wer noch nie im «Turm» war, weiss nach spätestens fünf Minuten, wer der Herr mit der kompakten Figur, dem Bleistift hinterm Ohr und dem Haarschwänzchen ist, der den Laden im Griff hat: Tony el jefe – der Chef. Allen Gästen sagt er «du», also bleiben auch wir dabei.

Ein Raketenstart
Tony war 19, als er aus Spanien einwanderte – und 33, als er den «Turm» übernahm. Das war im Jahr 1985. Er pachtete das Restaurant von der Zunft zur Letzi. Die Zunft hatte das Haus zum blauen Himmel, wie das Gebäude am Napfplatz wunderbarerweise heisst, ein paar Jahre zuvor erworben und zu ihrem Zunftlokal eingerichtet. Der junge Pächter legte einen Raketenstart hin legte den Zürchern Fleisch auf die Teller von Tieren, die sie allenfalls als Handtaschen trugen oder als Uhrenbändchen am Handgelenk: von Krokodilen. Aber nicht nur. Alles, was zu langsam war, um fort­zurennen oder zu träge, um fortzufliegen, fand sich hübsch garniert auf einem ovalen weissen Teller wieder. Auch Kängurus oder das Huhn, das bei meinem Gast, Thomas Altnöder. Zumindest die Leber.

Geflügel und «Volare»
«Ich dachte mir: Wie wird die Hühnerleber wohl serviert?», fragte Thomas, als wir uns bei einem Schlücklein Jerez (Fr. 7.50) über den Tisch zueinander beugten.
Zwei Musiker im Lokal, also ein Duo, gaben lauthals «Volare» von sich, und die grossen Töpfe voller Palmen und anderen Pflanzen, um die man herumzirkeln muss, boten zu wenig ­akustische Deckung. Die Hühner­leber mit confierten Zwiebeln lag ­neben einem Häufchen Nüsslisalat, das seinerseits aus einem Blatt rotem Chicorée wuchs. «Das haben sie hübsch gemacht», sagte er. Die eine Portion war gross genug für zwei.
Wir nippten vom Mineral mit Blöterli (Fr. 12.50 der Liter) und vom recht süss geratenen Verdejo (Fr. 9.50 der Dezi).
«Im Coop in Lausanne verkaufen sie ab 22 Uhr weder Bier noch ­Whisky», sagte Thomas, «dafür Wein. Der gilt ­offenbar nicht als Alkohol. Die Auswahl an Weissem ist unglaublich.» An seinem ersten Arbeitstag beim Wochenmagazin «L’Hébdo», dessen Re­daktion in Lausanne sitzt, musste er Bilder für die Spezialaus­gabe zu den Attentaten von Paris suchen. 30 Seiten Trauer.

Bronzerelief der Zunft
Nach der Zigarette draussen war das Duo bei «Besa me mucho», als wir ­zurückkamen, und ein paar Gäste sangen mit. Der Kellner brachte Thomas die Fasanenbrust (Fr. 37.50) und mir das Rehschnitzel (Fr. 42.50), für beide gabs Spätzli und Rotkraut dazu. Und Wein.
«Woher kommt er denn?» (Ich hatte die Weinkarte nicht entziffern können, das Licht ist allzu Tête-à-tête.) «Aus Spanien», sagte der Kellner. – «Schon, aber aus welcher Region?» – «Hm. Ich bin aus Tunesien, tut mir leid.» – «Schon in Ordnung.»
Am Ende drückte uns Sifi der Kellner zwei Mandarinli in die Hand. Aber für die war im Magen kein Platz.
«Hast du das Bronzerelief gesehen, das da hing?» fragte ich Thomas nach dem Begleichen der Rechnung (220 Franken). «Nein, was war drauf?» –«Die Zunft zur Letzi.» – «Ach so», sagte er, «angesichts der Portionen hätte ich eher einen Botero erwartet.»

René Ammann*

Restaurant «Turm», am Napfplatz / Spiegelgasse, Obere Zäune 19, 8001 Zürich. Tel. 043 268 39 40, turm@bei-tony.ch, www.bei-tony.ch. Täglich von 10 bis 24 Uhr geöffnet, warme Küche von 11.30 bis 23.30 Uhr.

*René Ammann isst und trinkt jeweils mit einem Gast, weil es geselliger ist. Diesmal mit dem Fotoredaktor Thomas Altnöder aus Zürich.