Mein Weg an die Froschaugasse

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Unser Gastschreiber hat Erinnerungen aus jungen Jahren an die Altstadt, in der er heute lebt.

Es war keine Glanzleistung – die Aufnahmeprüfung zu Beginn der 1960er-Jahre für das Langzeitgymnasium im neuerbauten Freudenberg hatte ich nur knapp bestanden. Die Faszination der Grossstadt wirkte auf den in einer verschlafenen Agglomerationsgemeinde im Limmattal wohnhaften, wohlbehüteten Jüngling im ersten Moment wohl eher belastend, für den weiteren Lebenslauf jedoch prägend. Viel Zeit blieb mir nicht, mich an den neuen Ernst des Lebens zu gewöhnen: Abspringen schon am frühen Morgen vom auf der Seite des Landesmuseums einfahrenden Zug, durch die Bahnhofhalle rasen, aufspringen auf den auf der Seite der Sihlpost Richtung Enge abfahrenden Zug, autoritäre, nur ihrem Fachgebiet verpflichtete Lehrer, Auseinandersetzungen mit den forscheren Mitschülern vom Zürichberg, Hausaufgaben in Hülle und Fülle. Nach und nach realisierte ich, dass der Stadt noch sehr viel mehr, für den Reifeprozess mindestens ebenso Wichtiges, abzugewinnen war, das Interesse für Pythagoras und Ablativ begann sich in Grenzen zu halten.

Freie Zeit nutzen
Wer etwas auf sich hielt, ging ins «Pony» an der Rämistrasse, sei es kurz über Mittag oder an den freien Nachmittagen, legendär ist das Birchermüesli mit Butterbrot und Milchkaffee für Fr. 4.20. Nach dem Eingang befand sich rechts eine Bühne, am Samstagnachmittag gehörte sie den «Sauterelles», am Mittwochnachmittag jedoch uns für die ersten Versuche einer möglichst subtilen Annäherung ans andere Geschlecht. Die Serviertochter meinte auf ihren spärlichen Kontrollgängen jeweils nur: «Was macheder wider, s’händ alli so roti Ohre.» Auf dem Weg zurück an den Hauptbahnhof gehörte es zum Ritual, den «Barfüsser» auf Seite Brunngasse zu betreten, möglichst aufreizend zu durchschreiten und bei der Spitalgasse wieder zu verlassen – was für eine Mutprobe!
Die höheren Weihen holte ich mir jedoch erst etwas später im «Schwarzen Ring», einer diskret in der Kruggasse gelegenen, mit ihrem schummrigen Licht und dem dunklen Interieur an den wilden Westen erinnernden Bar. Männiglich traf sich dort: Konzertveranstalter, Mittelschüler, Schuhdesigner, Zuhälter, Studenten, Künstler… Im etwas zurückversetzten Teil befanden sich hinter einer Wand zwei Flipperkästen, der linke war ein «Jumbo», eine echte Herausforderung für jeden, der etwas auf sich hielt. Um Geld wurde auch gespielt, mehr als den von der Mutter für das Mittagessen zugesteckten Fünfliber konnte ich allerdings nicht einsetzen und mehr als einmal nahm ich den Weg zurück in die Schulbank hungrig unter die Füsse. An einem Samstagmorgen allerdings – zwei Schulstunden waren überraschend ausgefallen – hatte ich einen gewaltigen Lauf, die Mitspieler verloren das eine und andere Mal, mussten mich auszahlen, schliesslich ging ich zu «Naphtaly», einer im Niederdorf gelegenen, in dieser Zeit höchst angesagten Kleiderboutique, liess mich von Kopf bis Fuss neu einkleiden, natürlich nur vom Feinsten, die alten Kleider liess ich grosszügig zurück.

Wunsch, in der Altstadt zu leben
Ein Bein hatte ich immer in Zürich – über Studium, Beruf, Ausgang, Besuch der Kulturinstitute. Für den Wohnsitz zog ich jedoch die ländliche Ruhe, den Bezug zur Natur lange Zeit vor. Dies änderte sich jedoch vor bald schon fünfzehn Jahren. Der Wunsch, in der Altstadt, diesem speziellen Biotop und in der Nähe des Sees, von Opern- und Schauspielhaus zu leben, wurde immer grösser. Ein purer Zufall, nämlich der Kauf einer Statue in der Kronengalerie an der Froschaugasse, liess schliesslich den Traum wahr werden: Ich erhielt vom Galeriebesitzer nicht nur die Statue, sondern gleich auch noch einen Mietvertrag.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir längere Zeit keinen Reim auf den Namen der Gasse machen konnte. Dass Frösche mit im Spiel sein könnten, schien mir in der Vorstellung der hygienischen Verhältnisse früherer Jahrhunderte nicht einmal so abwegig zu sein. Eines Tages begegnete ich allerdings einem älteren amerikanischen Ehepaar, Mitglieder der Baptisten und somit einer Gemeinschaft, die – wie mir von ihnen erklärt wurde – die Bibel von Froschauer verehrt, welches krampfhaft Froschauers Haus suchte. Es sind also Amerikaner, die mir letztlich auf den Sprung verholfen haben. – Früher haben Originale den Charakter der Altstadt mitgeprägt, leider sterben sie langsam aus. Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich an die vor ein paar Monaten verstorbene Dora Koster, die mich an einem trüben Novembertag ansprach: «Kannst du mir Metamorphose buchstabieren?» Ich dachte reflexartig an Ovid und an Doras schriftstellerische Tätigkeit und begann möglichst einleuchtend mit «M wie Martin, E wie Emil…», worauf sie mich bald unterbrach mit der Bemerkung: «Ich ha glaub eini gha letscht Nacht!»

Adventsbeleuchtung
Das Reisen ist meine Leidenschaft, Bhutan war eines der Reiseziele. Was lag also näher als in Gisela Treichlers «Travel Book Shop» nach entsprechender Literatur zu stöbern. Zufälligerweise bot sie eine von ihr geführte Reise in diese Gegend an, worauf ich spontan entschied mitzugehen. Offensichtlich muss ich auf dieser Reise einen gehörigen Eindruck hinterlassen haben, denn ich wurde – ohne mein Wissen – als «Organisationstalent» an die Gruppe Adventsbeleuchtung weitergereicht, zu meiner Überraschung zwei Stunden vor Beginn an eine erste Sitzung eingeladen, blieb vorerst ohne eigentliche Aufgabe, inzwischen bin ich Präsident des Vereins Adventsbeleuchtung – was für eine rasante Karriere. Der Verein Adventsbeleuchtung besteht aus Praktikabilitätsgründen zurzeit aus vier Mitgliedern, welche zugleich den Vorstand bilden und neben der unentgeltlichen Arbeit auch einen Vereinsbeitrag leisten. Es ist gelungen, den Verein wieder auf eine solidere finanzielle Basis zu stellen, dies auch dank der grosszügigen Unterstützung von Anwohnern und Auswärtigen. Die spezielle Atmosphäre während der Adventszeit soll uns noch lange erhalten bleiben!

Ulrich Zeltner


Unser Gastschreiber
Ulrich Zeltner (1951) ist in Dietikon aufgewachsen. Er besuchte die Kantonsschule Freudenberg und studierte anschliessend Jus an der Uni Zürich. Danach war er selbständig tätig als Consultant für Vorsorgeeinrichtungen. Auf Mandatsbasis hat er die Pensionskasse des Zürcher Anwaltsverbands aufgebaut und knapp dreissig Jahre geführt.
Schon bald zehn Jahre ist er pensioniert. Er interessiert sich für andere Kulturen und Sprachen und ist viel auf Reisen. Er liebt klassische Musik, Oper. Und er ist ein passionierter Berggänger.
Seit 2005 lebt er in der Altstadt, seit einigen Jahren ist er Präsident des Vereins Adventsbeleuchtung.