Vom Feuer verschont

Bild zum Artikel

Nach dem verheerenden Feuer am Bahnhofplatz assen unsere Kulinarier im Restaurant «Au Gratin». Im Rücken die Brandruine, unter sich der Feierabendverkehr – und vor sich einen vergnüglichen Abend.

Kopftücher queren den Fussgängerstreifen unter uns. Vier farbige Inderinnen pflücken Pommes aus Tüten vom «McDonald’s» am Platz. Und jede Menge Man Buns huschen über den Streifen, Männer mit Haarknöpfen und Sporttasche. Und Kali die Kell­nerin bringt uns zwei Housedrinks (zu Fr. 8.–), Campari und Orangensaft und noch etwas in den hohen schmalen Gläsern, die noch schmaler ­wirken in den breiten Händen von Alexander Villiger, meinem Gast und Nachfolger als Kulinarier.

Gratins aller Gattung
Kali, das ist doch der Name einer indischen Göttin? «Ja», sagt sie, «manchmal hätte ich im Service gerne acht Arme!» Alexanders Hände sind vom Backen und Kochen so breit geworden. Er wohnt im Niederdorf und ­eigentlich ist er Bayer. Seine Eltern führten ausserhalb Münchens einen Gasthof mit Fremdenzimmern. «36 Jahre am Holzfeuerherd. Zmorge, Zmittag, Znacht. Wir assen immer miteinander. Familie, Personal, alle am selben Tisch», erzählt er und dreht das Glas Sauvignon Blanc (Fr. 51.– die Flasche) in den Fingern. Er hätte vom Vater den Gasthof übernehmen sollen. «Einverstanden. Aber du gehst.» Der Vater blieb, der Sohn ging. Er arbeitet nun im Bereich IT und fährt am Zürcher Filmfestival Promis durch die Nacht, still und stumm wie ein Goldfisch, denn Götter und Götzen mögen keine Fragen beantworten. – «Oh nein, ich habe Salat bestellt!» Die knusprigen Eglifilets (Fr. 28.50) ste­cken in einer Tüte, der Salat macht sich vor mir breit. Alexander gönnt sich einen Gratin «Waikiki» (Fr. 25.50), wir sitzen schliesslich in einem Lokal, das sich seit 22 Jahren Gratins aller Gattung widmet. Der Pächter Urs Pfäffli hat das Konzept entworfen, und auf der Rechnung steht, was er von diesem Gericht hält: «Einfach Gratinös!» Alexander blickt auf den Gratin mit Ananasstücklein und diesen rosa Trauben, die auf der Rahmrosette des Riz Casimir sassen.

Das grosse Feuer
In der Nacht auf Samstag, 25. August, als die Nachbarhäuser zur Limmat hin Feuer fingen, flog kurz vor halb drei Uhr früh eine erste Gasflasche in die Luft, dann die zweite. Von meinem Schlafzimmer aus war der Brand gut zu sehen, von der Dachterrasse aus ebenfalls. Ich schickte meinen Pressekollegen Textnachrichten und Bilder. Keiner war wach, ich filmte und machte Bilder, bis der ­Akku des Mobiltelefons aufgab.

«Es roch ein paar Tage lang», erzählt Kali, und das Lokal sei kurz geschlossen gewesen wegen der Sicherheit. «Sie zahlen mit Karte? Ab 40 müssen Sie den Code bei der Bar vorne ein­geben!» – «40? Das bin ich schon gewesen!» – Kali lacht. «40 Franken! Und kommen Sie bald wieder, ich mag Gäste wie Sie!»

René Ammann*

Restaurant «Au Gratin», Bahnhofplatz 2, 8001 Zürich, Tel. 044 221 38 00. Montag bis Donnerstag 11 bis 14.30 und von 17 bis 23 Uhr, Freitag von 11 bis 14.30 und von 17 bis 24 Uhr, Samstag von 17 bis 24 Uhr, Sonntag geschlossen. www.newszh.ch.


*René Ammann isst und trinkt jeweils mit einem Gast, weil es geselliger ist. Diesmal mit Alexander Villiger. Er übernimmt Ammanns Einsatz als Kulinarier und schreibt einen Blog auf www.dernachtwanderer.ch.


Herzlichen Dank!
René Ammann hat ab 2005 zunächst mit Peter Keck bis Ende 2010, dann wieder ab Mitte 2013 im Wechsel mit Esther Scheidegger die kulinarischen Beiträge für den Altstadt Kurier geschrieben. Nun hört er auf, nach dieser langen Zeit. Was wir natürlich verstehen und gleichzeitig sehr bedauern. Seine ausgezeichneten Texte werden fehlen.

Immerhin dürfen wir hoffen, dass er dennoch wieder einmal für den Altstadt Kurier das eine oder andere schreiben wird.

Ganz herzlichen Dank!