Bühne frei für Tafelkultur
Das gastronomische Sorgenkind aus dem Hause Bindella neben dem Schauspielhaus am Pfauen hat nach sechs Jahren zu seinen Wurzeln zurückgefunden und entwickelt sich als Restaurant «Teatro» prächtig. Santa Lucia sei Dank.
Das Lokal dürfte Ihnen bekannt vorkommen, lieber Herr Keck.
Sie sagen es, liebe Frau Lier. Aber da mir als männliches Wesen der Besuch der Höheren Töchterschule der Stadt Zürich hier oben am Pfauen versagt blieb, fehlen mir im Gegensatz zu Ihnen Jugenderinnerungen an dieses Lokal aus den Sechzigerjahren.
Ich weiss nur noch, dass ich hier mit meinem Autogrammblock auf der Lauer nach Heinrich Gretler oder Therese Giehse war. Aber nun muss ich nicht mehr wie damals jeden Rappen umdrehen für einen Kaffee im Pfauen, sondern kann hier und jetzt nach Lust und Laune essen und trinken. Im Klartext: Zum Aperitif ist mir ein Glas Weisswein Antinori Bindella gerade gut genug (dl Fr. 5.50), dazu eine Portion Bruschetta all’aglio (Fr. 7.–) und dann Scaloppine al Limone mit Nudeln (Fr. 37.–). Bei der Wahl des Rotweines verlasse ich mich vertrauensvoll auf Ihr Fachwissen, das hoffentlich die Grenzen Ihres geliebten Bordelais sprengt.
Bitte bringen Sie mich nun nicht aus dem Konzept! Zu Hause wusste ich noch, ob mir die Sinne nach Fisch, Fleisch oder Teigwaren stehen. Und jetzt? Alles Fisch wie Vogel! Moment, ich habs: erst den Insalata di Rucola mit Parmesan (Fr. 13.–) und dann die Spaghetti ai frutti di mare, also mit Meeresfrüchten (Fr. 21.–).
Vergessen Sie den Rotwein nicht, lieber Herr Keck!
Wo denken Sie hin? Ich habe schon lange eine Flasche Fossolupaia im Kopf (Flasche Fr. 38.–), ein jugendlicher Rosso di Montepulciano. Aber beginnen wir doch erst mit der Vorspeise! En Guete!
Mein Chnoblibrot ist einmalig, drei braun geröstete Brotscheiben, nicht penetrant scharf oder ölig, einfach delikat. Als Einstimmung in den Hauptgang können sich zwei Personen an einer Portion gütlich tun.
Zu meinem Rucola-Salat: Ich bin ja nicht pingelig, aber zu Hause schneide ich die Stiele fein säuberlich ab.
Mit Verlaub: ganz schön pingelig! Meine Kalbsschnitzel, drei an der Zahl, sind ausgesprochen zart und leicht braun angebraten. Die Limonen-Sauce ist geradezu verführerisch. Ich kann nicht widerstehen, die Nudeln in der Flüssigkeit zu tunken. Das ist geliebte und gelebte Italianità. Und Sie, Herr Keck? Knirschen schon zerbrochene Muschelschalen zwischen Ihren Zähnen?
Nichts dergleichen. Die «frutti di mare» sind Meeresfrüchte ohne Drum und Dran. Das hat Stil, echt Bindella eben.
Kunst, Kultur und Kulinarik
Das Bindella-Konzept scheint sich als Erfolgsrezept zu etablieren.
Das Theater begann 2005 mit der Eröffnung der Brasserie Bar «Le Pfauen». Das nachfolgende (Bindella-)Restaurant «Terroir» war der einheimischen Küche verpflichtet und stellte auch an die Gäste gewisse Ansprüche. Leider vergebene Liebesmüh. Heute trägt das «Teatro» am Pfauen die Handschrift von Rudi Bindella junior, einem Spross der erfolgreichen Gastro-Gilde. Es ist das einzige «Santa-Lucia»-Lokal mit einem Zusatznamen, eine Hommage an das Schauspielhaus und die illustren Theater-Gäste. Gucken Sie sich mal die Wände an: Alles Zeichnungen und Malereien von Hanny Fries, der unvergesslichen Zürcher Theaterzeichnerin und Gesellschaftschronistin. Rudi Bindella senior war ein Verehrer und Sammler von Fries. Kunst, Kultur und Kulinarik bilden hier eine gehobene Symbiose.
Heimvorteil
Die Klientel, mehrheitlich chic herausgeputzte Damen, tragen mit ihrem Geschmeide zum gepflegten Ambiente bei. Und nun soll daneben gleich um die
Ecke ein «McDonald’s» einziehen…
Aus Angst vor einer «Verslumung» hat das Schauspielhaus eine Unterschriftenkampagne lanciert, die auch Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule unterstützen. Sie sind im Parterre des «Teatro» willkommen und geniessen einen Spezialrabatt. So ist unten ein spontanes Kommen und Gehen, während im ersten Stock Reservationen entgegen genommen werden. Die Speisekarten sind identisch.
Die Geschäftsführung liegt in den Händen einer Frau: Yesim Kirtas. In dieser Position ist sie eine Ausnahmeerscheinung. An der Spitze der rund vierzig
Bindella-Betriebe stehen nur vier Frauen.
Frau Kirtas ist eine perfekte Gastgeberin und umgängliche Vorgesetzte. Sie hat stets den Spielplan des Schauspielhauses im Kopf. Denn je nach Vorführung oder Gastspiel ist der erste Stock mehr oder weniger besetzt. Sie weiss auch, dass vor dramatischen Stücken zum Essen weniger Wein getrunken wird.
Da hat Bindella natürlich einen Heimvorteil: Er kann das tägliche Angebot auf das jeweilige Theaterstück abstimmen und beispielsweise eine Henkersmahlzeit mit einem Schierlingsbecher empfehlen.
Besonders hübsch zu «Arsen und Spitzenhäubchen»!
Edith Lier*
Restaurant «Santa Lucia Teatro», Rämistrasse 32,
8001 Zürich, Tel. 044 262 04 44, santa.lucia.teatro@bindella.ch. Öffnungszeiten Erdgeschoss täglich 11.30 bis 23.30 Uhr, Obergeschoss täglich 11.30 bis 14.30 und 18 bis 23.30 Uhr (Reservation empfohlen, private Anlässe auf Anfrage).
*Edith Lier und Peter Keck essen und trinken zusammen, weil es geselliger ist. Mal schreibt
Frau Lier, dann wieder Herr Keck.