Im Wandel der Zeit

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Unser Gastschreiber Dieter Notz schildert seine Beziehung zur Altstadt und erinnert sich an frühere Zeiten.

Unser Gastschreiber Dieter Notz schildert seine Beziehung zur Altstadt und erinnert sich an frühere Zeiten.
 Meine Beziehung zur Altstadt begann sehr früh in meinem Leben. Mein ältester Bruder startete 1945 an der Marktgasse in der Rathaus-Drogerie seine Lehre als Drogist. Ich war damals gerade zwei Jahre alt. Nur drei Jahre später, also als Fünfjähriger, sind mir die Besuche in der Drogerie, an der Hand meiner Mutter, noch immer in bester Erinnerung. Nicht nur visuell, nein, vor allem die Düfte hatten es mir angetan. Zu dieser Zeit handelte die Drogerie auch mit Parfüm-Essenzen und ätherischen Ölen.
In der Marktgasse gab es auch für nicht so sensible Nasen immer klar zu identifizierende Gerüche. Da war die gut riechende Drogerie, nebenan die Elefanten-Apotheke, gegenüber Comestibles Bianchi mit dem eindeutigen Fischgeruch und etwas weiter oben die Bäckerei Bertschi mit den knusprig frischen Broten und Gipfeli. Ich glaube da war ja auch noch ein Käsegeschäft, an den Namen kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern, aber das gehört natürlich auch zur «Sinfonie der Düfte».


Vielerlei Diskussionen
Einige Jahre später, ich war damals so um die siebzehn Jahre alt, habe ich viele Stunden im «Dorf» verbracht. Dorf, so nannten wir die Altstadt rechts der Limmat, vom Central bis zum Bellevue, von der «Gräbli-Bar» bis zum noch intakten «Odeon». Am unteren Ende der Marktgasse, an der Limmat, stand noch die Fleischhalle. Genutzt wurde sie aber in dieser Zeit für Dixieland-Konzerte und improvisierte Ausstellungen. Der Abriss war schon beschlossene Sache. Der Hafenkran an dieser Stelle hat uns vor einigen Jahren die Kunst der auch in der Fleischhalle angewandten Eisenkonstruktion wieder näher gebracht. Da gab es natürlich auch die Besuche der einschlägigen Bars und Lokale. Vorab die «Malatesta», Kultur- und Kult-Lokal. Viele Diskussionen: Politische, kulturelle, philosophische, überflüssige und ernst gemeinte, selbst handgreifliche unter damals noch günstigem Weineinfluss sind mir in Erinnerung geblieben. Treffpunkte waren auch das Jazz-Lokal «Africana», der von vielen Schriftsetzern des Berichtshauses besuchte «Turm» und selbstverständlich die Gott sei Dank immer noch erhaltene und sehr lebendige «Bodega».
Es waren aber auch die Buchläden, die mich immer wieder in die Altstadt brachten. Der Krauthammer, der Pinkus, von den Namensgebern selbst geführte Geschäfte. Die Inhaber waren meist anwesend und waren sich nicht zu schön, mit uns, zu dieser Zeit pubertierenden Jungen, ernsthafte Gespräche zu führen, Tipps bezüglich Lesestoff zu geben. Alles analog!
Viele Jahre später: Ich wohnte nun selber in der in der Altstadt, an der Oberen Zäune. Ein neuer Lebensabschnitt. Ein neues Erleben des «Dorfes». Ich war «Einwohner», nicht nur Besucher. Neue Bekannte lernte ich kennen. Ich lernte die Aktivitäten und Institutionen kennen. Dinge, von denen man als Besucher wenig bis keine Ahnung hatte. Obwohl auch in Zürich geboren, stellte ich fest: das «Dorf» ist ein Dorf. Im Ganzen nur Insidern verständlich. Mit aktiven und passiven Bewohnern. Auch mit Dorfgeplauder, positivem und negativem. Es wohnen auch hier Menschen! Es gibt Vereine. Nie hätte ich gedacht, je einem Verein beizutreten. In der Altstadt tat ich es. Während gut zwei Jahren amtete ich als (Co-)Präsident für den Verein Nachbarschaftshilfe Kreis 1. (Eine sehr gute und notwendige Institution, die hauptsächlich durch Spenden finanziert ist. Also los und sofort spenden – bitte!)
Diese Vereinstätigkeit brachte mir auch die ganze Grösse der Altstadt ins Bewusstsein. Es gibt sie nicht nur rechts der Limmat, sondern auch auf der linken Seite des Flusses. Dort ist eine andere Welt. Weniger Dorf, weniger warm, dünkt es mich. Das ist mein ganz persönlicher Eindruck und somit auch nicht allgemein gültig. Die Zünfte befinden sich ja auch auf beiden Seiten der Limmat. Sie beglücken Jahr für Jahr die Altstadtbewohner mit Musik und fröhlichen Anlässen. Ich wohnte im Haus zum Grünen Glas, dem Zunfthaus der Zunft Riesbach. Gauben Sie mir, ich kann den «Sächsilütemarsch» in allen Varianten pfeifen. Jeder Einmarsch einer Zunft bei der befreundeten Gastgeber-Zunft wird vom diesem «Hit» begleitet. Es war aber nicht der Grund, die Altstadt zu verlassen. Ehrlich.

Vertrautes und Neues
Und heute? Was ist geblieben? Es gibt sie noch, einige mir vertraute Lokale, in denen ich immer noch bekannte Menschen treffen kann, ohne vorheriges Abmachen. Es gibt auch wieder einen Buchladen, der mich immer wieder in die Altstadt zieht, mit dem Flair des ehemaligen Krauthammers. Wo man ein Buch durchblättern darf. In einem Lokal, das selber Geschichten für ein Buch erzählen könnte. Es gibt den Fotografen, der wirklich mitten in der Altstadt wohnt und mit unzähligen Fotos das Geschehen im Dorf festgehalten und in einem Buch veröffentlicht hat. Es gibt das Animatorium: Animation für Film, Video, Audiovision und Galerie, wo ich im Mai 2019 meine Bilder präsentieren durfte. Es gibt die Zeitung, die Sie in den Händen halten. Den Altstadt Kurier. Das Weltblatt, ohne das die Zürcher Medienlandschaft nicht existieren kann! Weil ihr dann das Herz Zürichs fehlen würde. Sie also faktisch tot wäre. Es gibt noch die Kirchen in der Altstadt, deren Glockenkonzert mich des Öfteren am Samstagabend auf die Münsterbrücke bringt. Es gibt das Grossmünster mit den wunderbaren Glasfenstern von Giacometti und Polke. Ich weiss, auch das Fraumünster hat grossartige Fenster! Und es gab das ausserordentlich schöne Bach-Konzert im Grossmünster. Meine Frau und ich waren dabei – es war Weihnachten 2019 in Zürich, in der Altstadt.

Dieter Notz


Unser Gastschreiber
Dieter Notz (1943) ist in Zürich aufgewachsen, wo er eine Lehre als Textilentwerfer absolvierte. Nach dieser Ausbildung wechselte er ins Werbefach und arbeitete als Grafiker. Als solcher war er auch für einige Zeit in Detroit und in Bangkok tätig.
1977 machte er sich selbständig (Pilone Werbung), 2009 löste er sein Geschäft auf. Ab 2004 machte er berufsbegleitend die fünfjährige Ausbildung zum Mal- und Kunsttherapeuten. Seither ist er teilzeitlich als Maltherapeut mit Betagten tätig.
Er hat eine Tochter und lebte viele Jahre in Zumikon und Forch, seit 2004 wohnt er in Zürich, davon vier Jahre in der Altstadt. Er war zwei Jahre (Co-)Präsident des Vereins Nachbarschaftshilfe Kreis 1. Er malt selber fast täglich.

Foto: EM