Jüngling ohne Schwert und Rüstung
Hoch auf dem Denkmalsockel beim Fraumünster reitet Hans Waldmann, von 1483 bis 1489 Bürgermeister der Reichsstadt Zürich. Was war er zudem? Eine Kriegsgurgel? Ein Genie der Tat?
Vor Corona war das Denkmal ein touristischer Hotspot. Zurzeit findet es kaum Beachtung. Zu Unrecht. Wer von hier aus nicht nur das Grossmünster ins Auge fasst, sondern auch hinaufschaut zum bronzegrünen Reiter, entdeckt eine überraschende Figur, die zur Sockel-Inschrift «Bürgermeister Hans Waldmann. Feldherr und Staatsmann» schlecht passen will.
«Der hübschist Eidgenoss»
Jung und sportlich, geradezu übermütig ist dieser lebensgrosse Haudegen. Mit lockerer Hand führt er das tänzelnde Pferd, zielgerichtet, dynamisch, freudig. Nur eine kleine Axt in der rechten Hand und ein unscheinbarer Helm verleihen ihm etwas entfernt Kriegerisches. Der Urheber des Denkmals, der Bildhauer Hermann Haller (1880-1950), muss sich an Chronisten orientiert haben, die Waldmann das Prädikat «der hübschist Eidgenoss» verliehen haben, «von person gar schön, zierlich und edel», «von stirn frei und trutzlich».
Die Charakterisierungen kamen dem Künstler entgegen. Haller, freiheitsliebend und ungebunden, schrieb über seine Plastik: «Hans Waldmann ist ein Symbol meiner eigenen Abenteuerlust.»
Das Denkmalkomitee, die damaligen Auftraggeber, nahmen ihm diese Eigennützigkeit allerdings übel. Sie hätten Waldmann gerne als wuchtig-pathetischen Feldherrn dargestellt gesehen, als einen mit wallendem Bart, Rüstung und Schwert. Diesem rückwärtsgewandten Ansinnen entgegnete die Zeitschrift «Das Werk: Architektur und Kunst», solches Pathos interessiere die Öffentlichkeit nicht wirklich. Es stehe ausser Zweifel, dass das Denkmal aus ästhetischer Sicht und «im Geiste der Gegenwart» das Zürcher Stadtbild um einen neuen Akzent bereichere. Diese Stimmen bekamen recht: Das Standbild wurde 1937, nach mehrjährigen Vorarbeiten, am heutigen Ort enthüllt.
Kraftnatur oder Tyrann?
Auch was Waldmanns historische Bedeutung anbelangt, scheiden sich die Geister. Für den Schriftsteller Paul Lang war Waldmann ein «Renaissancemachtmensch mit richtiger Witterung für das Kommende». Die Limmatstadt habe Waldmann, der «gewaltigen Kraftnatur», dem «Genie der Tat», Bedeutendes zu verdanken: In der kurzen Spanne seiner Herrschaft habe er Zürich aus einer verarmten Stadt in eine wohlhabende umgewandelt, schreibt Lang in der Festschrift zur Enthüllung des Reiterstandbildes.
Als wirklich bedeutender bahnbrechender Politiker dürfe Waldmann zwar kaum gelten, schränkt Langs Kollege Ernst Gagliardi 1938 im Band «Grosse Schweizer» ein. Gleichwohl habe er «den Durchschnitt seiner Volksgenossen weit überragt».
Eine kritischere Würdigung erfährt Waldmann 1971 im Büchlein «Zürichs Geschichte. Chronik einer Manteldemokratie». Darin beschreibt ihn der Kunsthistoriker Konrad Farner als mutig und rücksichtslos, machtgierig und politisch begabt, autokratisch und hochmütig, «als einen Verächter des Volkes, einen Tyrannen der Polis». Bürgermeister Waldmann habe eine Schreckensherrschaft ausgeübt, betont Farner.
Ähnlich scharf geht der Autor Marco Volken mit Waldmann ins Gericht: Eine «Kriegsgurgel» sei dieser gewesen, oberster Zunftmeister und selbstherrlicher Bürgermeister, der wegen zahlreicher Vergehen zum Tod durch das Schwert verurteilt worden sei, so Volken 2012 im Buch «Wandern in der Stadt Zürich».
Waldmannhandel, Enthauptung
Wer war dieser Waldmann aus heutiger, wissenschaftlicher Sicht? Das Historische Lexikon der Schweiz gibt Auskunft. Es stützt sich bei seinen Beurteilungen auf erforschte Fakten. Waldmann, 1435 in Baar ZG geboren, machte eine Schneider- und Gewerbelehre, verdingte sich als Söldner, wurde Eisenhändler, heiratete eine reiche Witwe und wurde Amtmann des Klosters Einsiedeln in Zürich. Die Zunft zum Kämbel wählte ihn zu ihrem Zunftmeister. In mehreren Schlachten tat er sich als Heerführer der Zürcher Truppen hervor und wurde zum Ritter geschlagen. 1480 wurde Waldmann Statthalter des Bürgermeisters Heinrich Göldli. Drei Jahre später drängte er diesen aus dem Amt. Als Bürgermeister habe er die zürcherische und eidgenössische Politik massgeblich geprägt, so das Lexikon. Waldmann stärkte die Stadt – allerdings auf Kosten der politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Landgebiete. Als er – wohl der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – die Hunde von Bauern töten liess, weil diese angeblich die Jagd behinderten, kam es 1489 zum Bauernaufstand, dem sogenannten Waldmannhandel, der einen innerstädtischen Umsturz auslöste. Die Bürgergemeinde liess Waldmann und seine Anhänger inhaftieren. Nach tagelangen Folterungen wurde Waldmann enthauptet. Beigesetzt wurde er im Fraumünster. Dort findet sich links neben dem Chorraum eine Grabplatte mit einer kaum lesbaren Inschrift, die auf den 6. April 1489, auf den Tag der Hinrichtung, verweist.
Karl Wüst